Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Wien-brevier - Mór Jókai: Der roman des künftigen jahrhunderts

(Wie viel ist der König wert?) Als Seine Majestät dann allein geblieben war, nutzte er die Gelegenheit nicht, sich des Königs zu entledigen und Mensch zu sein, der ermüdet, sich schlafen legt; nein: er wollte mehr sein als König. Er wollte nicht ruhen: er wollte schaffen. Als er seinen Blick über dieses schöne Panorama gleiten ließ, flüsterte die königliche Seele in ihm: „Könntest du dies schöne Land, welches oben sprießt und unten fault, neu erschaffen?“ Der künstlerische Geist aber fragte ihn: „Könn­test du solch ein Bild erschaffen?“ Er versuchte es. Schon viele hatten es gemalt; große, berühmte Künstler, die Heliographie gab dieses Bild mit allen Einzelheiten der überwältigenden Schönheit wieder. Der König dachte da anders. Er tat zwanzig Schritte von der Stelle zurück, von der andere das Bild aufgefasst hatten, der Rand des Plateaus ver­deckte so die Paläste des Luxus und der Wirtschaft; das Tal von Zugliget, der Hügel des Istenhegy entfielen; an ihre Stelle trat der Wald des Plateaus: die vielen Jahrhunderte alten Buchen und Eschen, mit ihren bemoosten, von Efeu umrankten Stämmen, das wild wuchernde Gestrüpp von Waldreben, Wacholder und Weißdorn boten den Anblick einer amerikanischen Wildnis; das Gras üppig wie in den Pampas, der Raum leer wie in den tierarmen Wäldern Australiens; ein düsterer, kühler Waldausschnitt. Und auf einmal tauchte plötzlich, ohne jeglichen Übergang die in der Ferne liegende Stadt auf, der blaue Strom mit den still dahingleitenden Schiffen und dann die Felder mit den gelben Ähren, mit der sich im Nebel verlierenden Unendlichkeit. Dieser ungeziert großartige Gegensatz war es, der dem Künstler die erste Idee gab. Ein Feldstuhl, ein dreibeiniger Tisch, auf den er seinen Karton genagelt hatte, so stand er dort unter der Marquise des Geweihhauses: Der König begann, sein Werk zu schaffen. 208

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