Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Wien-brevier - Mór Jókai: Der roman des künftigen jahrhunderts

Es war nur eine Skizze, die er anfertigte, nur eine Pastellzeichnung, auf rauem Papier. Er plagte sich nicht mit den kleinen Details: die universale Wirkung hatte er sich abgeschaut, die gab er wieder. Und je mehr sich sein Werk unter dem Graphit entfaltete, desto stärker war seine Seele von Begeisterung erfüllt. Der Geist des Künstlers ließ den König in erhabenen Gedanken schwelgen. Je höher die Sonne aufstieg, desto stärker zeichnete sich der ergreifende Gegensatz zwischen dem Vordergrund und dem Hintergrund des Bildes ab: das Raue, Kalte, allzu Kraftvolle und das Leuchtende, Zarte, zusammen auf ein Blatte gebannt. Ein Kontrast in Harmonie; eine Unmöglichkeit, lebendig und wirklich. Eine Wildnis, in deren Hintergrund eine junge Metropole, eine lachende Ebene. Die Sonne stand schon im Zenit, als der König sein Brouillon fertiggestellt hatte. Und als er dann diese improvisier­te Skizze vor sich aufstellte, da war er nicht zufrieden mit ihr. Das Auge des Künstlers entdeckte den Mangel. Dies Bild war leer. Ein toter Wald und eine stumme Stadt. Die Wirkung unendliche Melancholie. Dabei würde nichts zwischen die beiden passen. Menschliche Gesichter, Jäger, Nymphen, volkstümliche Gestalten, sie würden alle diese mystische Wirkung augenblicklich zerstören, welche dieses Bild aufwies und deren Bann zugleich der Mangel des Bildes blieb: Es übte eine Wirkung aus, die der Betrachter nicht in Worte zu fassen vermochte. Plötzlich schreckte der Lärm einer Treibjagd die Träume des Künstlers auf; die Trompeten der Jäger, das Kläffen der Jagdhunde begannen, bereits von diesseits des János-Berges zu ertönen und näherten sich dem Plan gemäß dem Geweihhaus... Der König knüllte plötzlich seinen Karton zusammen und steckte ihn in den Lauf seines Jagdgeweh­res zurück. Die Jagdgesellschaft könnte ihn ertappen, ein Landschaftsbild gemalt zu haben, und welch ein Spott er­gäbe sich daraus! Es erginge ihm wie seinem königlichen Verwandten in alter Zeit, als ihn seine Höflinge im Kostüme des Tristan ertappten - singend! Die Kunst ist die Sache der „Diener". Aus dem Ungarischen von Éva Zádor ANMERKUNGEN I Ausschnitt aus der politischen Utopie Mór Jókais aus dem Jahr 1874, in der er sich Ungarn im 20. Jahrhundert im Rahmen des Habsburgerreiches, mit einem Herrscher aus dem Hause Habsburg vorstellt. Als Vorbild Árpád von Habsburgs diente ihm Kronprinz Rudolf. 209

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