Nagy Ildikó szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 1980-1988 (MNG Budapest, 1989)

R. Várkonyi, Ágnes: VARIATIONEN ÜBER DIE UNGARISCHE GESCHICHTE: DIE BILDER DER AUSSTELLUNG. UNGAR 1526-1790

zu einem eigenständigen Staat und, gleich den kleineren Ländern an den östlichen und westlichen Grenzen des Osmanenreiches, in ein Vasallenverhältnis mit der Pforte gezwungen. Unter den mit engeren oder lockereren Banden an das Osmanische Reich gebundenen Ländern verfügte Siebenbürgen neben Ragusa über die größte Selbständigkeit; es verfuhr auf souveräne Weise mit seinen inneren Angelegenheiten und baute seine diplomatischen Beziehungen zu den Ländern der christlichen Welt aus. Das ,,Königreich" schließlich wurde dem Reich der Habsburger eingegliedert. Dieser Randbogen des einstigen Landes im Westen und im Norden erstreckte sich von der Adriaküste über das erhalten gebliebene Gebiet Kroatiens, über Transdanubien und über das nordwestungarische Bergbaugebiet, sowie über Unterungarn bis zum östlichen Ende von Oberungarn. Zwei dünnen Armen gleich hielt dieses Gebiet den der türkischen Herrschaft verfallenen Landesteil umklammert. In seinen Ausdehnungen war es kleiner als das heutige Ungarn. Seine Entwicklung verlief in den Jahrhunderten des Mittelalters unter den Bedingungen des östlich des Rheins gelegenen Gebietes und speziell der östlichen Regionen Mitteleuropas naturgemäß anders als in den westlichen Ländern. Bis dahin aber war der Unterschied kein qualitativer. Nun, am Anfang des 16. Jahr­hunderts erlitt die Gesellschaft Ungarns ein schweres inneres Trauma: mit der Niederdrückung des von György Dózsa geführten Bauernaufstandes (1514) versteifte sich die äußerst in Adel und zum Frondienst verpflichtete Leibeigenschaft gegliederte Struktur der Standesgesellschaft. 1 " Das Osmanenreich drängte nach Westen, und auf dem Königreich Ungarn lastete das ganze Gewicht der östlichen Eroberungsmacht. Die Habsburger-Monarchen, die jetzt die ungarische Königskrone trugen, glaubten, schon aufgrund historischer Erfahrungen (wie seinerzeit schon König Matthias, der Sohn des János Hunyadi), die Expansion des Osmanischen Reiches durch die zusammengefaßte Kraft mehrerer Länder der Donauregion aufhalten zu können. Sie bauten die österreichischen Erblande, Böhmen und das ihnen zugefallene Gebiet Ungarns zu einem ,,Reich" aus. So begannen die Habsburger, die notwendigerweise zum Ausbau einer zentralisierten Administration gezwungen waren, Ungarns staatliches Institutionensystem umzugestalten: Militärfragen unterstanden von da an dem Kriegsrat und Finanzfragen den der Hofkammer untergeordneten ungarischen Kammern mit Sitz in Preßburg und Kaschau. 13 Einer der bedeutendsten Zeitgenossen, die die osmanische Herausforderung beantworteten, war Palatin Tamás Nádasdy, der auf seinem auf uns gekommenen Porträt einen Harnisch trägt. Seine Frau, Orsolya Kanizsai, wurde goldgeschmückt und mit einem Buch in der Hand verewigt. In der Hand der Witwe von Boldizsár Batthyány, der einen anderen Typ des Hochadels der Zeit verkörpert, der Dorottya Zrínyi, sind Blumen, neben ihr ist eine Uhr abgebildet. Nach Auffassung der Menschen der damaligen Zeit ist das Panzerkleid ein Symbol von Kampf und Krieg, der goldene Schmuck ein Ausdruck von Unverderblichkeit und Reichtum. Das Buch symbolisiert das Wissen, die Blume die Erneuerung, die Uhr die Zeit; in der Mentalität der Menschen der Renaissance also: es ist uns gegeben, ob wir die Zukunft verlieren oder gewinnen. Waffe, Reichtum, das von der Reformation gebotene Wissen, Erneuerungsbereitschaft und Wettlauf mit der Zeit — in diesen Wertkategorien formulierten Aristokratie und Adel im 16. Jahrhundert ihre historischen Antworten. Sie nutzten außerordentlich flink die aus der europäischen Entwicklung resultierenden Möglichkeiten aus. Die in ihrer Expansionsphase stehende europäische Wirtschaft war auf die Schätze aus Ungarns Bergwerken, auf Kupfer und Salz, und auf seine unerschöpflichen Lebensmittelressourcen angewiesen. Der Preis von Vieh und Wein stieg ungebrochen in die Höhe. Der Hochadel legte von seiner besonderen wirtschaftlichen Anpassungsfähigkeit Zeugnis ab, als er in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine neue Wirtschaftsform, die Meiereiwirtschaft ausbaute. Es wurde, zumeist durch die Fronarbeit der Leibeigenen, mitunter inmitten harter Kämpfe um den Grundbesitz auch innerhalb der Familie, für den Markt produziert und mit Vieh und Wein gehandelt. Mit der osmanischen Eroberung war die wirtschaftliche Einheit des Landes noch nicht zerbrochen. Die Einwohner der Marktflecken der Tiefebene trieben Jahr für Jahr Tausende Stück Vieh durch die Zölle in den Westen. Historische Untersuchungen haben weitgehend bestätigt, was der spätere Erzbischof von Esztergom Miklós Oláh in seinem Werk ,,Hungária" (1538) betont hatte: das unter türkisches Joch geratene Ungarn versorgte Venedig, Schlesien, Mähren und die Städte der deutschen Fürstentümer mit Fleisch. 14 Es waren zunächst die Bürger der Marktflecken und Städte, die sich die Reformation zu eigen machten, später aber die ganze Gesellschaft. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gehörten nahezu 90 Prozent der Bevölkerung aller drei Landesteile den protestantischen Kirchen an. Nachdem sich auf den Besitztümern des hohen und des niederen Adels die ersten Prediger niederlassen konnten, wurden durch die großen Errungenschaften der Reformation — Druckerei, Unterricht in der Muttersprache, Kanzel — die Stützpunkte des seelischen Widerstandes ausgebaut. Die virtuelle Einheit des zerfallenen Landes wurde zuerst an den Höfen des Hochadels geschaffen. Das Machtzentrum des Königtums wurde Wien, die dortigen Herrscher organisierten ihren Hof nach spanischem Muster, entsprechend den internationalen Ansprüchen des Reiches; Ungarns Interessen fochten sie nicht an. Der Palatin war seit Jahrhunderten der erste Würdenträger des Landes, der Stellvertreter des Königs. So war sein Hof. wie auch der Fürstenhof in Siebenbürgen, berufen, das verlorene ungarische Machtzentrum zu verkörpern. Dem Beispiel des Palatins folgten auch die anderen öffentlichen Träger von Amt und Würden: der Landesrichter (judex curiae), der Banus von Kroatien (militärischer und Verwaltungsgouverneur von Kroatien), und die Träger hoher militärischer Ränge. Die Elite des Hochadels erachtete es in der Regel für ihre Pflicht, sich mit einem ungarischen Hof zu umgeben. Dorthin entsandte der Adel seine Kinder zur Erziehung. Jagd, Turniere. Reiten und höfischer Dienst trainierten die Jungen für Kriegsleben und Politik. Und die Mädchen haben, nachdem sie sich in Sticken, Musizieren, Gartenpflege, in der Führung eines für die Versorgung von Hunderten von Menschen verantwortlichen höfischen Haushaltes und in der Heilkunst Fertigkeiten angeeignet hatten, von diesen Höfen aus geheiratet. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von Mohács stieg der Wert des Wissens; das Prestige der Bildung wurde unentbehrlich. Der Hof des Hochadels, der Bibliotheken und Gärten bauen ließ, wurde zur Heimstatt von Schriftstellern, Wissenschaftlern, Malern, Musikern und Wanderdruckern, ein

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