Prakfalvi Endre: Sozialistischer Realismus. Architektur in Budapest 1945-1959 - Unser Budapest (Budapest, 1999)

Zu Beginn möchten wir uns, indem wir uns nur streng auf die Architekturgeschichte konzentrieren, einen kurzen Überblick darüber, was Ungarn im Krieg und in dessen Folgen verloren hat, verschaffen. Was hat Budapest während der mehr als sechswöchigen Belagerung verlo­ren? Diese Belagerung war eine der längsten und grau­samsten Stadtschlachten des Zweiten Weltkrieges. Außer den materiellen Schäden (Zerstörung der Donaubrücken und die katastrophalen Verluste bezüglich der Einwohner­schaft) verlor man schrittweise - für lange Jahrzehnte - einerseits die architektonische Tradition, andererseits das Niveau der Ausführung, welches noch 1942—43 solche Gebäude wie das Mietshaus von Gedeon Gerlóczy in der Innenstadt (V, Petőfi Sándor utca 12—Párisi utca 6) zeig­ten. Mit seiner eleganten, stufenförmig zurücktretenden, „stromlinienförmigen“ Fassade - um die Gasse luftiger er­scheinen zu lassen - sowie seiner Passage mit einer Glas- Beton-Kuppel und Oberlicht, mit seinen edlen Materialien, seinen Reliefs im Treppenhaus, gehört es zur „echten groß­städtischen Architektur“. (So wurde das Gebäude von Virgil Bierbauer [Borbíró], dem Redakteur von Tér és For­ma [Raum und Form] 1944 charakterisiert.) Andererseits verloren die Budapester von ihren historischen Gebäuden, neben so vielen anderen, die Hotelzeile am Donauufer mit dem Lloyd-Palast. Die in der Architektur des Mietshauses von Gerlóczy veranschaulichten Prinzipien wurden nach 1945 innerhalb weniger Jahre aus der architektonischen Denkweise verbannt. Parallel dazu wurden die sich auf dem Gebiet zwischen Kettenbrücke und Elisabethbrücke befindlichen, damals noch stehenden Reste der Hotelzeile am Donaukai, die vielleicht hätten gerettet werden kön­nen, die Formenwelt des architektonischen Ensembles des ungarischen Klassizismus von europäischem Niveau (Werke der Architekten Hild, Pollack, Zitterbarth) zum Muster im Kanon des sozialistischen Realismus. Es umgibt mich die Kraft der Schöpfung. Ich wohne in der Werkstatt der Götter. Ich wohne in einer herrlichen Stadt. Zwischen Trümmern?... Jetzt weiß ich, wie die uralten Mythen entstanden sind. Ich sehe es von meinem Fenster aus. Sie entstanden so, daß ein Mensch einen Hammer auf nahm. (László Cs. Szabó: Serenade des Herkules, 1946) Die Beseitigung der Trümmer und der Wiederaufbau be­gannen gleich nach der Belagerung, doch die Schwere der Lage zeigte sich darin, daß noch 1948 das Jahr der Be­4

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