Bodor Ferenc: Die Pressos der Stadt - Unser Budapest (Budapest, 1992)

Kávés katica (kaffeekáthchen) An der Ecke der Váci út und der Gogol utca sind die Massen­lieder schon deutlich leiser geworden, mit der Verbannung der Straßenbahn ist auch die Harmonie des Straßenbildes dahin, es gibt keine Schutzinsel mehr, Hausfrauen mit Ein­kaufsnetzen und Proletarier mit Aktentaschen sind seltener geworden. So ist auch das romantische Lieder beschwörende Presso ein wenig aus der Zeit gefallen. Seine Vergangenheit könnte man aus den Kriminalberichten und kleinen Ge­schichten der Esti Hírlap (Abendzeitung) nachempfinden. Gesichter von verkommenen Ungarn und Zigeunern, die ge­schummelt, betrogen, gebettelt, angebandelt, sich in Steche- reien verwickelt haben und in der Fernsehsendung »Blaues Licht« Rede und Antwort stehen mußten, sehen uns aus vergangenen Zeiten an. Das Kaffeekáthchen wurde in zwei Hälften geteilt, eine davon ist Gaststätte geworden. Von sei­nem alten architektonischen Geschmack und seiner Presso- stimmung hat es seine feine, rote Plastiktäfelung oberhalb der schlauen und dynamischen Zwischendecke bewahrt. Auf dem ornamentalen Kunststeinboden stapfte einst sogar der be­rühmte Soldat Princ*. Clnter den FIDESZ-Orangen-Lampen** stehen eine Kaffeemühle und ein Espressogerät, die an Indu­striedenkmäler erinnern. Hinten auf den Regalen lagern zim­merpflanzenbewuchert ünicumflaschen aus der dem jetzigen Mischbesitz vorangehenden staatmonopolistischen Zeit. Durch das metallberahmte Fenster an der Wand hinter dem Speiseraum kommen nahrhafte Gerichte auf die Tische der Gäste. Abends leuchtet die solid geschwungene Neoninschrift ungewöhnlicher Qualität an einstige Stimmungen mahnend auf den Vorplatz des entleerten Marktes von gegenüber. XIII., VÁCI ÚT 54. * Held eines Filmes. ** Fidesz (Allianz junger Demokraten) ist eine liberie Parlamentspartei, die die Orange zum Parteisymbol gewählt hat. 55

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