Szegő Dóra - Szegő György: Synagogen - Unser Budapest (Budapest, 2004)

In der Dohány utca planten sie eine Synagoge, in der Síp utca eine Schule zu gründen. Mit dem Entwurf der Schule wurde der bekannte Architekt Joseph Hild beauftragt. Er war der führende Architekt des Klassizismus in Ungarn. Es wurde entschieden, daß die neue Synagoge im Geist der Reformen entstehen sollte. Die Erneuerung brachte auch eine Reform des Gottesdienstes mit sich, neben dem Jiddischen wurden Deutsch und Ungarisch ebenfalls zur Predigt-Sprache, außer­dem gab es einen Chor und eine Orgel. (Die Gemeinde versprach den traditions­bewahrenden Gläubigen, die sich mit der neuen Synagoge in der Dohány utca nicht identifizieren konnten, eine eigene Synagoge: bis zu deren Bau übernah­men sie die Kosten eines orthodoxen Bethauses.) Die neue Synagoge mit einem Fassungsvermögen für fast 3000 Personen sollte die größte Synagoge Europas werden. Bis heute ist sie mit ihren 3100 Sitz- und fast 1000 Stehplätzen die größte Synagoge, in der Gottesdienste stattfinden. Die Zuwendung zur Reform brachte auch den Anspruch auf einen neuen Architekturstil mit sich. Die Entwicklung verlief nicht reibungslos. Schließlich wurde die Synagoge in der Dohány utca wirklich zu etwas Neuem in der Geschich­te der Synagogen in Ungarn, auch bezüglich der Architektur: Sie wurde zum Paradigma der neuen Synagogen-Konzeption der Juden in Ungarn. Bis zur Ausbreitung der Neologie betrachtete die Tradition die Synagogen nur als Versammlungsort, welcher das Jerusalemer Heiligtum nicht ersetzen konnte. Der jüdischen Tradition zufolge ist das Diaspora-Dasein eine vorübergehende Zeit der Verbannung und das Warten auf den Messias ist das zentrale Element des Glaubenslebens. Mit dem Kommen des Erlösers wird auch der Jerusalemer Tempel neu erbaut werden. Nur dann wird die Tempel-Funktion der Synagoge sich erfüllen, ln der Neologie hingegen hat das Warten auf den Messias seine zentrale Bedeutung verloren, die Rolle der Synagoge wird aufgewertet. Das Versprechen des mit dem Kommen des Messias zu bauenden Heiligtums wird in die heilige Zeit versetzt, in der Gegenwart aber soll der jeweilige lokale „Tempel” das religiöse, geistige und architektonische Zentrum und Sinnbild sein. Es entstand ein neuer Gebäudetyp und die mit der Aufgabe beauftragten Architekten konnten nun mit der Suche der entsprechenden architektonischen Formensprache und Raumkon­struktion beginnen. Man war der Auffassung, daß der östlichen Wurzeln des Judentums wegen ori­entalische architektonische Elemente die angebrachtesten seien. Nicht im inter­nationalen Klassizismus, sondern in der nationalen Romantik suchte man für die Neuerweckung der jüdischen Vergangenheit eine geeignete Formensprache. Die alles bedeckende Ornamentik der orientalischen Architektur verdeckt sozusagen die Strukturelemente, so übermittelt das Gebäude keinen Inhalt und entspricht 26

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