Faurest, Kristin: Zehn Budapester Plätze - Unser Budapest (Budapest, 2010)

Die besten öffentlichen Plätze der Welt haben jenes einmalige Element, an das man sich erinnert. Es muss nicht immer etwas Außergewöhnliches sein, wie der Bernini-Brunnen in der Piazza Navona in Rom. Es kann bescheidener und an­spruchsloser sein, wie z. B. die Skulptur „Make Way for Ducklings" (Enten haben Vortritt) - eine Anspielung auf ein bekanntes Kinderbuch - im Public Garden in Boston. Etwas, was die Leute sich an jenen Ort erinnern macht, das sie sagen lässt „Wir treffen uns bei...” oder „Du weißt schon, der Ort mit dem...", oder „Gehen wir ins Restaurant gleich neben dem...” Menschen werden intuitiv vom Einmaligen und Denkwürdigen angezogen, und solche öffentlichen Plätze, die zahlreiche Besucher anziehen, sind unweigerlich die besten. Fő tér besitzt noch eine andere Eigenschaft, die für einen blühenden öf­fentlichen Platz wichtig ist: Das Erdgeschoß der ihn umgebenden Gebäude bietet eine große Auswahl an Kultur, Essen und Trinken. Es gibt zahlreiche Gründe, am Platz herumzuspazieren, ihn nicht bloß zu überqueren - obwohl er seit 2007, als er zur autofreien Zone erklärt wurde, von vielen Fußgängern nur auf ihrem Weg von einer Straße zur anderen benützt wird. Es gibt hier mehrere Restaurants, ein Volkskunstmuseum, eine Bibliothek und mehrere Büros der Stadtverwaltung. All dies garantiert zu jeder Zeit ein recht reges soziales Leben. Im Sommer finden am Platz zahlreiche Ausstellungen im Freien sowie lokale Feste jeder Art statt. Fő tér ist, wohl mehr als jeder andere hier beschriebene Platz, ein Palimpsest. Der Charme des Platzes liegt in dem Gefühl, das einen hier überkommt: Dass hier und in der Umgebung Menschen schon viele Jahrhunderte lang gearbeitet, geges­sen, getrunken, geschrieben und gelebt haben. Geschichte liegt überall in der Luft, viel mehr als auf den meisten anderen Plätzen. An den Gebäuden erinnern Zeichen an frühere Bewohner, z. B. an die Übersetzerin und Schriftstellerin Grácia Kerényi (1925-85), die Ungarn mit der polnischen Literatur bekannt machte. Eine Tafel an einer anderen Wand erinnert an jene, die nach Russland zur „Malenki Robot" verschleppt wurden. Nachdem die Sowjets im Januar 1945 die Stadt von den Nazis befreit hatten, wurden zahlreiche Bürger, darunter auch viele aus Óbuda, zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Früheste verbürgte Anfänge des Platzes stammen aus römischer Zeit, als er die Kreuzung der beiden Hauptstraßen nach Aquincum war. Die hier ausgegrabenen Kirchenreste stammen aus dem 14. Jahrhundert: Ludwig der Große und die Köni­ginmutter Elisabeth hatten hier zwischen 1340-1346 zu Ehren der Jungfrau Maria 16

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