Radek Tünde - Szilágyi-Kósa Anikó (szerk.): Wandel durch Migration - A Veszprém Megyei Levéltár kiadványai 39. (Veszprém, 2016)
4. Folgen von Migrationsprozessen auf die Literatur - Hammer Erika: Ein Entwurf von der Welt. Bewegung als Ver-Wandlung der Welt in der Poetik von Herta Müller
256 Hammer, Erika: Ein Entwurf von der Welt gen kann. Angeschrieben wird damit gegen ein Dazugehören, was mit Besitznahme, mit Abstammung, mit Selbstverständlichkeit, Gewohnheit und nicht mit der individuellen Erfahrung gekoppelt wird (Müller 2004: 142). Auch Sklovskij versteht die Ostranenie als eine „dynamische, veränderbare Größe“ (Lachmann 1984: 323) und er insistiert auf der „Schaffung einer neuen Sprache, die nicht zum Wiedererkennen, sondern zum Sehen gemacht“ ist (Lachmann 1984: 312). Dies wäre für ihn eine „sperrige Sprache“, die „Einführung imverständlicher Elemente“, eine „erschwerte Form“, die Widerstand leistet und so die Wahrnehmung provoziert (Lachmann 1984: 322). Dies geschieht auch in Berufung auf Aristoteles, denn nach ihm muss dichterische Sprache den „Charakter des Fremdländischen, Erstaunlichen“ haben (Lachmann 1984: 326). Verzerrungen und Verfremdungen im Sinne von Verrückung hängen bei Müller eng mit dem Schreiben zusammen und werden auch im Bild des Umzugs gefasst. Wenn ich Gelebtes in die Sät^e stelle, fängt ein gespenstischer Um^ug an. Die Innereien der Tatsachen werden in Wörter verpackt, sie lernen laufen und ziehen an einen beim Um^ug noch nicht bekannten Ort. Um im Bild des Umzugs su bleiben, es ist mir beim Schreiben, als stelle sich das Bett in einen Wald, der Stuhl in einen Apfel, die Straße läuft in einen ¥ inger. [...]. Man schleppt das Gelebte beim Schreiben in ein anderes Metier. (Müller 2009: 86, herv. von mir, E.H.) Die Bewegung, der Umzug der Sprache an einen „noch nicht bekannten Ort“ (Lachmann 1984: 326) ist der Schritt in Richtung Neues, noch Unbekanntes, was die Wahrnehmung und die Sprache in ihre Potenzialität zurückversetzen soll. All dies kann aber nicht jenseits von Ordnung stehen, es muss einen „tra-dierten Kern“ als Bezugspunkt geben, in den die „heterogenen Elemente hineingeschleudert werden“ (Helmers 1984b: 293). Dieses Hineinschleudem ist berufen, den vorhandenen trügerischen Zusammenhang der Dinge, das Gewebe der Weitsicht zu zerreißen, neu zu situieren und dadurch neue Kontexte herzu-stellen. Auch hier geht es um nicht gewohnte, kontingente Nachbarschaften, durch die neue Bedeutungen, neuer Sinn entstehen kann. Verfremdungstechnik bedeutet nämlich, dass „entfernte geistige Bereiche“ (Helmers 1984b: 292) einander nahe gerückt werden, es bedeutet heterogene Fügungen, die Einset-zung von Einzelelementen, die die Gesamtkomposition stören, bzw. bedeutet, dass unpassende Zitate,