Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Österreich-Ungarns Maritim-Militärische Präsenz in China: Vom Entsatz der Gesandtschaften bis Ende Januar 1901

Beijing. In der Nähe des Ortes wurden Räuberbanden vermutet, welche die ansässige Bevölkerung angeblich bedrohten. LSK Bless von Sambuchi beauftragte LSF Kubelka mit der Untersuchung der dortigen Verhältnisse: „Boxer sind sogleich hinzurichten, überwiesene Räuber jedoch nach Peking zu escortiren.“ Sollten bei allfälligen Streifungen, die auch in die Umgebung von Gaoliying ausgedehnt werden konnten, Waffen gefunden werden, so waren die betreffenden Häuser niederzubrennen.1589 Mit dem Seekadetten 2. Klasse Victor von Braun und dem I. Zug der k. u. k. Landungs-Kompanie verließ Kubelka um 16.00 Uhr das Chongzhai\ der Train bestand aus fünf Wagen und sechs Reitpferden. Schon innerhalb der Stadtmauern von Beijing schlossen sich Kubelka einige Mitglieder der Deputation aus Gaoliying an, die zuvor ausgesagt hatten, dass „Räuberbanden“ die Umgebung ihres Ortes verunsicherten.1590 Diese Expedition zeigte deutlich, dass es im Laufe des Winters 1900/01 auch zu Fällen von Denunzierungen zwischen den Einwohnern einzelner Ortschaften hatte kommen können. Schon auf dem Weg nach Gaoliying erkannte Kubelka, dass sich die Deputation, welche die Übergriffe angezeigt hatte, selbst erst im Gelände orientieren musste. Die Befragung einiger passierender Chinesen ließ Kubelka erkennen, dass die von der Deputation angegebene Distanz nach Gaoliying unrichtig war. Dass das Nachtquartier in dem Ort Luting1591 bereits beim Eintreffen des österreichisch-ungarischen Zuges (gegen acht Uhr abends) vorbereitet war, schien Kubelkas Vorahnungen zu bestätigen. In Luting konnten keine Räuber entdeckt werden. Der „Räuber“, den die Deputation am nächsten Morgen Kubelka vorfuhrte, entpuppte sich nach genauer Befragung der Bevölkerung als „friedlicher Bauer“ und wurde umgehend freigelassen. In den Mittagsstunden des 30. Januar traf der österreichisch-ungarische Zug in Gaoliying ein und wurde von der Deputation in ein außerhalb der Mauern gelegenes Quartier geführt, wo alle Fragen nach den „Räubern“ ausweichend beantwortet wurden. Erst als Kubelka die Bevölkerung von Gaoliying befragen ließ, stellte sich heraus, dass die Mitglieder der „Deputation“ gar nicht aus Gaoliying stammten und dort gänzlich unbekannt waren, worauf Kubelka die „Deputation“ gefangen nehmen und abführen ließ. Um der Sache auf den Grund zu gehen, unterband Kubelka jeden Kontakt der „Erpressergesellschaft“ mit der Außenwelt. Österreich-Ungams maritim-militärische Präsenz in China... KA, MDP Res. No. 21 ex 1901, LSK Bless von Sambuchi an LSF Kubelka, Res. No. 21, Peking, 29.1.1901. 1590 Gaoliying war bereits im Dezember 1900 von einer britischen Abteilung unter Oberst Tulloch angegriffen worden. Damals konnte konstatiert werden „that the Statement made by the Chinese as regards the Austrian flag being pulled down is equally false with the other statements made by them.“ (KA, MDP Res. No. 80ad ex 1900, Headquarters Staff Office, British Contingent China Field Force to Austrian Commander, No. 4 644, Peking, 12.12.1900) - Vgl. dazu die Bemerkung in MWB 86,11 vom 2.2.1901, Sp. 324. 1591 In den Akten „Lü-ti-can“ beziehungsweise „Li-ti-can“ . Lokalisierung des Ortes anhand der Karten in Shuntian fuzhi [Lokalhandbuch der hauptstädtischen Präfektur Shuntian], ND 1987; vgl. auch heutige chinesische Karten des Gebietes. 433

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