Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China

Georg Lehner - Monika Lehner Sanität, 6 Feldspitäler sowie zudem 2 000 Tonnen Proviant und 30 Tonnen Munition an Bord genommen hatte.507 Österreich-Ungams politisch-diplomatische Position zu den Ereignissen in China Interviews, Interpellationen, Audienzen - erste Reaktionen der österreichisch-ungarischen Politik auf die Krise in China Als der aus Österreich-Ungarn stammende Lazaristenpater Josef Wilfinger Mitte April 1900 in der Provinz Zhejiang Opfer eines blutigen Überfalls wurde, war in der veröffentlichten Meinung der Monarchie kaum Interesse an der Lage in China vorhanden. Das Gerücht, auch die Monarchie könnte noch in die Ende 1897 von Deutschland eröffnete Jagd nach Konzessionen einsteigen, hatte im Frühjahr 1899 dazu geführt, dass Österreich-Ungams politische Absichten in China in bis dahin nie da gewesenem Ausmaß in der Öffentlichkeit diskutiert worden waren.508 Ende Mai 1900 traten in Budapest die Delegationen der parlamentarischen Vertretungskörper der beiden Reichshälften zusammen, um wie alljährlich über die gemeinsamen Angelegenheiten der Monarchie zu beraten. Die Redner unterzogen dabei die 1899 verlauteten Gerüchte über eine imperialistische Aktion Österreich- Ungams in China auch im Hinblick auf die staatsrechtliche Situation der Monarchie einer kritischen Würdigung.509 Im Zentrum dieser kritischen Würdigung war neben der Politik Goluchowskis auch das Verhalten des ungarischen Ministerpräsidenten Kalman Széll gestanden. Dieser beantwortete am 18. Juni 1900 - in der letzten Sitzung des ungarischen Reichstages vor der Sommerpause - eine von Franz Kossuth eingebrachte Interpellation zum Ausmaß des österreichisch-ungarischen Engagements in China. Kossuth wollte wissen, ob Széll Kenntnis von der Teilnahme einer Abteilung der bewaffneten Macht Österreich-Ungams an der Unterdrückung des Aufstandes in China habe, ob eine internationale Vereinbarung über die proportioneile Zusammensetzung einer internationalen Streitmacht bestünde, ob man im Ministerium des Äußern Garantien dafür besitze, dass Russland keine Eroberungen in Ostasien bezweckt und ob man das österreichisch-ungarische Engagement eng begrenzt halten wolle. Bei Beantwortung der Interpellation wies Széll darauf hin, dass schon einmal (im Herbst 1898) ein k. u. k. Marinedetachement zum Schutz der Gesandtschaft nach 507 Vgl. dazu: Die Russischen Transportmittel des Schwarzen Meeres und die vorjährigen Truppentransporte nach Ostasien. In: MWB 86,46 vom 25.5.1901, Sp. 1243-1248 und ebenda, 86,47 vom 29.5.1901, Sp. 1266-1270. Vgl. dagegen die Angaben in HHStA, P.A. XXIX/21, Götz an MdÄ, No. C, Port Said, 2.10.1900. Nach Götz’ Angaben transportierte „Maria Theresia“ 572 Personen, „Elektra“ 555 Personen. 508 Georg Lehner, Österreich-Ungarn in China? Das Gerücht einer territorialen Erwerbung und die österreichische Presse im Frühjahr 1899. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 110 (2002), S. 125-149. 509 Vgl. dazu StPD 36,2 vom 25.5.1900, S. 25 sowie ebenda, 36,4 vom 28.5.1900, S. 96 f. 158

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