Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China

Österreich-Ungarn und der Beginn des internationalen Engagements ... Beijing abgegangen wäre, „doch ist es damals, vielleicht weil die Wirren noch nicht so große Dimensionen angenommen hatten, der Aufmerksamkeit des Publikums entgangen.“ Dass Österreich-Ungarn in China keinerlei Interessen besitze, sollte „vielleicht nicht behauptet werden“. Széll erwähnte unter anderem die Steigerung des Zuckerexportes nach China, stellte jedoch in Abrede, dass „dort von irgendwelchen Plänen, von irgend einer Aktion die Rede wäre.“ Im Übrigen wäre das „Zenta“-Detachement nicht „zur Unterdrückung der Wirren“ nach Beijing abgegangen, sondern nur um das Personal der diplomatisch-konsularischen Vertretungsbehörden „und unsere eventuell dort befindlichen Staatsangehörigen zu schützen.“ Weiters lägen dem k. u. k. Ministerium des Äußern keine Garantien dafür vor, dass Russland im Zuge dieser Krise keine Eroberungen in Ostasien beabsichtige, „was, in Anbetracht der größeren Interessen anderer europäischer Mächte, zu einer europäischen Komplikation führen könnte.“ Schließlich versuchte Széll auch Kossuths Sorge wegen einer tief gehenden Involvierung Österreich- Ungams in die Ereignisse in China zu zerstreuen. Im Rahmen der „internationalen Solidarität“ wäre es für Österreich-Ungarn notwendig gewesen, ein kleines Detachement nach Beijing zu entsenden. Hätte sich die Monarchie als einzige Macht der Entsendung eines Detachements enthalten, könnte dies schwere Folgen nach sich ziehen: Dies wäre ein so eigenthümliches, mit dem Ansehen der Stellung der Monarchie nicht kompatibles Vorgehen gewesen, weiches, wie ich glaube, ausgeschlossen sein muß.510 Auch Kaiser Franz Joseph schien daran interessiert, ein einigermaßen vollständiges Bild von den Vorgängen in China zu gewinnen. Zu diesem Zweck empfing er zunächst (am 19. Juni) den Freiherm von Czikann, von dem er sich über die zur Zeit von dessen Abreise aus Beijing dort herrschende Situation unterrichten ließ.5" Am 26. Juni empfing Kaiser Franz Joseph Heinrich Freiherm von Siebold512, der durch die während seiner langjährigen Tätigkeit an den k. u. k. Vertretungsbehörden in China und Japan erworbenen Sprach- und Landeskenntnisse zum damaligen Zeitpunkt wohl zu den profiliertesten in der Monarchie lebenden Ostasien-Kennem gezählt werden konnte.513 Die Qualität der Informationen, die Czikann bei seiner Rückkehr nach Europa zu geben im Stande war, wird durch die Interviews, die kurz nach seiner Ankunft in Wien in den Zeitungen zu lesen waren, wohl treffend charakterisiert. 510 Darstellung und Zitate nach dem Abendblatt des Pester Lloyd, Nr. 137 vom 18.6.1900, S. 1-2. - Vgl. auch „Ministerpräsident von Széll über die Ereignisse in China“, ln: WAP, Nr. 138 vom 18.6.1900, S. 3; NFP, Nr. 12 865 vom 18.6.1900, Abendblatt, S. 6 sowie „Die chinesischen Unruhen im ungarischen Abgeordnetenhaus.“ ln: Arbeiter-Zeitung, Nr. 166 vom 19.6.1900, Morgenblatt, S. 3. 511 Vgl. Abendblatt des Pester Lloyd, Nr. 138 vom 19.6.1900, S. 1.-Die Nachricht folgte dem Neuen Wiener Tagblatt. 512 Vgl. Abendblatt des Pester Lloyd, Nr. 145 vom 27.6.1900, S. 1. 513 Zur Biographie von Heinrich von Siebold (1852-1908) vgl. Hans Körner, Die Würzburger Siebold. Eine Gelehrtenfamilie des 18. und 19. Jahrhunderts, Lebensdarstellungen deutscher Naturforscher 13, Leipzig 1967, S. 530-548. 159

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