Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Österreich-Ungarn und der Beginn des Internationalen Engagements zur Unterdrückung der Unruhen in China

Georg Lehner - Monika Lehner In einem Interview, das am 11. Juni im „Illustrirten Wiener Extrablatt“ erschien, verwarf Czikann alle Meldungen, die davon sprachen, dass in China „von fremder Seite geschürt“ worden wäre.511 Danach präsentierte er sein Urteil über die Yihetuan: Die Boxer sind Geheimbündler, von Haß erfüllt gegen alles Fremdländische [...]. Es ist über die Boxer bereits viel geschrieben worden. Sie sind ursprünglich als eine Gesellschaft gegründet worden, um die Mitglieder durch Leibesübungen fähiger zur Vertheidigung des Vaterlandes zu machen. Also, eine Art von Athletikclub. Das war jedoch blos [sic!] das Aushängeschild. Die Engländer gaben ihnen wegen der sportlichen Allüren den Spitznamen Boxer. [...] Ein besonderes Erkennungszeichen besitzen sie nicht. Der k. u. k. Gesandte erläuterte zudem, dass die Yihetuan von der „Kaiserin- Mutter“ nicht verfolgt, jedoch auch nicht „offenkundig“ protegiert würden, doch stünde sie ihnen „sympathisch“ gegenüber. Prognosen über die Entwicklung der Krise wollte der k. u. k. Gesandte nicht abgeben.514 515 Im Morgenblatt der „Neuen Freien Presse“ vom 12. Juni 1900 kam Czikann neuerlich zu Wort. In der Einleitung zum Interview hieß es: Wichtige Ereignisse vollziehen sich jetzt in China. Der Kampf gegen die Fremden macht das Einschreiten der europäischen Mächte nothwendig. Auch unsere Marinetruppen sind in Peking einmarschirt und bewachen das österreichische Gesandtschaftspalais. Der urlaubende k. u. k. Gesandte gestand, über die aktuellen Entwicklungen in China nicht mehr zu wissen, als man den europäischen Zeitungen entnehmen könnte. Er warnte davor, die von der Journalistik marktorientiert lancierten Meldungen beim Wort zu nehmen: Die aus China kommenden Nachrichten müssen mit größter Reserve aufgenommen werden. Insbesondere muß ich vor den Depeschen aus Shanghai warnen. Sie enthalten ungeheure Uebertreibungen. Schon von Peking her bin ich es gewöhnt, den Shanghaier Mittheilungen das größte Mißtrauen entgegenzubringen. Doch auch die Meldungen aus Tientsin sind, obzwar verläßlicher, mit Kritik zu betrachten. Auch sie erzählen nicht wenig Unrichtiges. Allerhand Missionäre, insbesondere englische und amerikanische, die auf eigene Interessen und Speculationen bedacht sind, finden ihre Rechnung dabei, wenn sie Falsches in die Welt setzen. Also ist nicht Alles, was man aus China hört, für bare Münze zu nehmen. 514 Eine Unterredung mit dem österreichisch-ungarischen Gesandten in Peking. In: Illustrirtes Wiener Extrablatt, 29. Jg., Nr. 158 vom 11.6.1900, Morgenblatt, S. 5f. Die Meinung, dass die Yihetuan nicht Teil eines von einer der europäischen Mächte „wohl berechneten Planes“ gewesen wären, präsentierte auch Hermann Feigl, Der Aufstand der Boxer, ln: ÖMÖ 26 (1900), S. 86. 515 Eine Unterredung mit dem österreichisch-ungarischen Gesandten in Peking. In: Illustrirtes Wiener Extrablatt, 29. Jg., Nr. 158 vom 11.6.1900, Morgenblatt, S. 5 f. - Interessant ist die ebenda, S. 6 gegebene Beschreibung Czikanns: „Der Gesandte der Monarchie ist eine elegante, sehr sympathische Erscheinung. Das Haupt- und Barthaar ist ergraut, aber die Haltung zeigt Elasticität. Kluge Augen erhellen das freundliche Gesicht.“ - Der Inhalt des Interviews wurde auch im Abendblatt des Pester Lloyd, Nr. 132 vom 11.6.1900, S. 3 wiedergegeben. - Ergänzend zu dieser Beschreibung vgl. auch Oesterreichische Volks-Zeitung, Nr. 222 vom 14.8.1900, S. 1: „[...] ist eine schlanke, distinguirte Gestalt im besten Mannesalter. Sein jugendliches Gesicht mit blondem, gescheiteltem Bart- und Kopfhaar trägt den Stempel sicherer Gelassenheit. [...].“ 160

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