Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)
Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China
Georg Lehner - Monika Lehner Gesandtschafts-Hotels veranlassen.“ Vom Minister des Äußern erbat er schließlich Weisungen über sein Verhalten während einer möglichen Mission nach Beijing: Ich würde in diesem Falle die oberwähnte Aufgabe sowie etwaige weitere Weisungen Eurer Excellenz nach bestem Vermögen erfüllen, Archiv und Chiffre je nach Maßgabe der Verhältnisse mit gebotener Vorsicht zu bergen trachten oder verbrennen und hiefür auch für den Fall, dass ich am Rückweg tödlich verwundet werden sollte, entsprechend Vorsorge treffen.91 Tags darauf, am 14. Juli, berichtete Gottwald „über die Lage der Fremden in Peking“. Der chinesische Kurier, der den vom 29. Juni datierten Brief des japanischen Gesandten von Beijing nach Tianjin gebracht hatte, war 13 Tage unterwegs gewesen. Die kaiserlichen Truppen beschießen die Legationen ohne Unterbrechung Tag und Nacht mit Geschützen, die vereinigten Detachements vertheidigen sich mit aller Kraft. Die Munition geht zu Ende und wird [...] bald das fürchterlichste Massacre aller Gesandten stattfinden, die Minister hoffen noch immer auf das Eintreffen von Entsatztruppen.* 292 Seit der Rückkehr der Expedition Seymour nach Tianjin war auch dort die Situation äußerst ernst geworden; der Qing-General Ma Yukun war den Angaben Gottwalds zufolge mit 10 000 Mann und mit Geschützen vor Tianjin eingetroffen und hatte am 4. Juli die fremden Niederlassungen aus vier Geschützen beschießen lassen.293 Britische und russische Feldbatterien beschossen „die City und das bei derselben gelegene Fort“; aus dem Fort kam nur schwacher Widerstand. An jenem Tag wurden die Kämpfe, in welchen die Chinesen Russen und Japanern gegenüberstanden, durch heftiges Gewitter unterbrochen. Am 5. Juli konnten chinesische Soldaten, die zwei eben von Tianjin nach Tanggu abfahrende Lokomotiven unter Beschuss genommen hatten, von russischer Infanterie zurückgeworfen werden. Nach wechselvollem Verlauf der Kämpfe schritten die ausländischen Truppenkontingente am 13. Juli um fünf Uhr früh „endlich an die schon lange geplante und nothwendige Einnahme und Zerstörung der Chinesenstadt“ von Tianjin. Das heftige Feuer der chinesischen Verteidiger zwang Japaner, Briten, Franzosen, Amerikaner und das k. u. k. Detachement zu untätigem Verharren. Die Russen waren indessen von Osten gegen die Chinesenstadt vorgerückt. Nachdem die chinesische Seite am Abend das Feuer eingestellt hatte, waren die internationalen Detachements in ihren Positionen verblieben; in den frühen Morgenstunden des 14. Juli nahmen sie die über den Baihe führende Eisenbahnbrücke und drangen in die Chinesenstadt ein, wo ihnen große Mengen Kriegsmaterial in die Hände fielen. Bei den Kämpfen um Tianjin waren ungefähr 1 000 chinesische Soldaten gefallen; von den 6 000 Mann auf alliierter Seite wurden 762 getötet oder verwundet.294 291 292 293 294 Ebenda, Taku, 13.7.1900. Ebenda, Taku, 14.7.1900. Ebenda, Taku, 7.7.1900. HHStA, P.A. XX1X/14, Gottwald an Gotuchowski, T aku, 15.7.1900. Zu den Kämpfen um Tianjin vgl. M ors e, Relations III, S. 243-246; zur Tätigkeit des k. u. k. Detachements vgl. unten. 100