Georg Lehner, Monika Lehner (Hrsg.): Sonderband 6. Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand” in China (2002)

Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel Österreichischer Berichte aus China

Am 15. Juli berichtete Gottwald, dass die Chinesen nicht nur durch ihre eigenen Kundschafter, sondern auch durch seit langen Jahren in Tianjin ansässige Europäer über die Bewegungen und Operationen der vereinigten Detachements informiert worden wären. Vor allem der in Diensten der Chinese Imperial Maritime Customs stehende Gustav Detring und dessen Schwiegersohn, der frühere preußische Leutnant Constantin von Hanneken295, wurden der Kollaboration mit den Chinesen verdächtigt. Detrings Haus wäre während der Kämpfe um Tianjin auffallend lange von der Beschießung verschont geblieben, ehe es von den fremden Detachements unter Feuer genommen wurde.296 Gottwald berichtete, dass Detring und Hanneken, gemeinsam mit dem Österreicher Hermann Mandl297, während des Chinesisch-Japanischen Krieges von 1894/95 ein Vermögen verdient hätten: Die für den Import von Kriegsmaterialien gecharterten Dampfer durchfuhren die Strecke Hongkong - Shanghai, um der Untersuchunng seitens japanischer Kriegsschiffe zu entgehen, ohne Positionslichter und luden in Chinkiang [Zhenjiang] aus, wo der Weitertransport nach dem Norden über den Kaisercanal erfolgte. Hanneken, Detring und Mandl sollen alte, unmoderne Handfeuerwaffen in Europa zu Spottpreisen eingekauft und der chines. Regierung als Mauser- und Mannlicher-Gewehre, etc. zu Kriegspreisen geliefert haben.298 1896 war Gottwald selbst anwesend gewesen, als der daotai (Kreismagistrat) von Shanghai dem damaligen k. u. k. Generalkonsul Joseph Haas erzählt hatte, dass sich Die Unruhen des Sommers 1900 im Spiegel österreichischer Berichte aus China 295 Zur Biographie von Constantin von Hanneken vgl. neuerdings: Constantin von Hanneken. Briefe aus China 1879-1886. Ein deutscher Offizier im Reich der Mitte, Rainer Falkenberg (Hg.), Köln/Wien 1998, S. 1-17. 296 Zu Detrings Haltung während der Kämpfe um Tianjin und bei der Rückkehr der Seymour- Expedition vgl. unter anderem KA, MS/OK 1900-V-l 1/24, Nr. 2 108, S.M.S. „Zenta“ an RKM/MS, Res. No. 226, Taku, 29.7.1900 (Vorfallenheiten seit 22.7.) und Winterhaider (1902), S. 129. 297 Zu Mandl vgl. das in HHStA, GA Peking, Kart. 90 erliegende Curriculum vitae sowie einige ergänzende Akten aus den Jahren 1908 und 1910, die auf eine angestrebte Nobilitierung Mandls Bezug nehmen: Mandl wurde am 28.3.1856 in Wien geboren (evangelischen Bekenntnisses), ging 1877 nach China, wo er unter anderem eine spektakuläre Wüstenreise zum Generalgouvemeur Zuo Zongtang in die Westgebiete unternahm (vgl. dazu die Veröffentlichung von Gustav Kreitner, Die Wege von Ansifan durch die Wüste Gobi nach Hami. In: A. Petermann’s Mittheilungen aus Justus Perthes* Geographischer Anstalt 28 (1882), S. 416-422); mit kurzen Unterbrechungen hielt sich Mandl bis 1907 in China auf. Nach kurzzeitiger Verwendung bei den Chinese Imperial Maritime Customs trat er nacheinander bei Jardine, Matheson & Co. und Teige & Co. in Dienst. Schließlich wurde er zum Alleinvertreter der Firma Krupp (Essen) in China und gründete die Firma „H. Mandl & Co.“, was er vor allem durch Unterstützung des Seezolldirektors Gustav Detring erreichte. Im Frühjahr 1908 fiel das Urteil des damals am Generalkonsulat Shanghai tätigen k. u. k. Vizekonsuls Kobr vernichtend aus: „Mandl selbst ist, soviel mir persönlich bekannt ist, auch in der letzten Zeit in China nur dann als Oesterreicher aufgetreten, wenn er einen Vorteil dadurch zu erzielen hoffte.“ HHStA, GA Peking, Kart. 90, Kobr an Storck (Geschäftsträger in Beijing), Res. No. 21/08, Shanghai, 10.3.1908. - Zu Mandls Tätigkeit in China vgl. auch Bülow (1902), S. 136. Nach Bülow hielt sich Mandl nach der Unterdrückung der Yihetuan-Bewegung in Tianjin auf. 298 HHStA, P.A. XX1X/14, Gottwald an Gotuchowski, Taku, 15.7.1900. Auch von Seite der deutschen Vertretungsbehörden in China waren die Geschäfte von Hannekens kritisiert worden. Vgl. Schmidt (1984), S. 84. 101

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