Sonderband 4. Das Institutionserbe der Monarchie. Das Fortleben der gemeinsamen Vergangenheit in den Archiven (1998)

Imre Ress: Der Weg zum Badener Abkommen (Teilung oder Aufbewahrung des Archiverbes der Monarchie)

Der Weg zum Badener Abkommen Stimmungen von Österreich zugestanden werden, die auch die Ausfolgung der Archive ungarischer Provenienz außerordentlich erschwerten und infolge dessen auch das Zustandekommen einer österreichisch-ungarischen Vereinbarung hin­dernd auswirkten. Mit dem Prager Archivabkommen wurden Verpflichtungen der Republik Österreich auch hinsichtlich von Archivalien aufgeladen, die das gesamte Staatsgebiet der Tchechoslowakischen Republik in neuem Umfang, also die Slowa­kei und die Karpat-Ukraine einbegriffen betrafen. Auch dieses Zugeständnis ging weit über den Staatsvertrag von St. Germain hinaus, denn der Artikel 93 dieses Vertrags schrieb nur die Abgabe der den von Österreich abgetretenen Ländern ge­hörigen Archivalien vor. Nach diesem Abkommen wäre Österreich verpflichtet, alle Archivbestände, die das gesammte tschechoslowakische Staatsgebiet betrafen, entweder an Prag abzugeben oder unversehrt in Wien zu erhalten. Weiterhin gelei­stete das Prager Abkommen den tschechoslowakischen Delegierten den uneinge­schränkten freien Zutritt zu allen Archivbeständen, die ohne Zweifel als ungari­schen kulturelles Eigentum galten. Von ungarischer Seite hat man besonders un- freudlich gefunden, daß zu gleicher Zeit der ähnlich freie Zugang der ungarischen Fachorgane abgewehrt wurde und die an den Nachfolgestaaten erfolgten Aktenab­gaben ohne ungarische Mitwirkung durchgeführt wurden. Die ungarische Proteste wurden mit der Begründung zurückgewiesen, da die zwischen der österreichisch und tschechischen Regierung getroffenen Abmachungen weder einen Verstoß ge­gen das Provenienzprinzip bedeuten noch die Interesse dritter Staaten beeinträchti­gen, weil die Bestände, an denen auch dritte Staaten interressiert sind, nicht ausge­folgt, sondern nur zur Abschriftnahme zugänglich gemacht werden16. Diese Spannungen und Reibereien hingen auch damit zusammen, daß es am An­fang der 1920-er Jahre die österreichisch-ungarische Beziehungen mit politischen Problemen wie. z. B. die Westungarn-Frage und Streitigkeiten finenzieller Natur schwer belastet waren. Die ungarischen Vorstöße zur Regelung der Archivangele­genheiten wurden abgeblockt, weil Österreich über das Vermögen der ehemaligen Monarchie keine Verhandlungen einleiten wollte, solange die Gebietsfragen nicht gereinigt waren17. Wie eng das ganze Archivproblem mit der Westungarn-Frage in Zusammenhang gebracht wurde, ist es daran zu erkennen, daß es ein provisorisches Übereinkommen über die Zulassung von ungarischen Archivdelegierten im Haus-, Hof- und Staatsarchiv und Hofkammerarchiv erst nach der Volksabstimmung von Sopron-Ödenburg im Mai 1922 zustande kam18. Ohne eine Entscheidung über die schwebende eigentumrechtliche Frage der Archive vorzugreifen, trug diese provi­sorische Abmachung in drei wesentlichen Punkten zur Regelung der Archivbezie­hung allgemein mit Ungarn bei. Den ungarischen Archivdelegierten wurden der freie Zutritt zu den Beständen der gemeinsamen Behörden gewährt; nach den vor­'6 Österreichische Verbalnote an die Ung. Gesandschaft vom 21 September 1920. HHStA Wien, Kurrentakten, 1920-888. 17 Ungarische Verbalnote vom 14 Dezember 1920 bzw. eine Aufzeichnug Ludwig Bittners über die Unterredung des Ministerialrates Boschan mit dem ungarischen Gesandten Dr. Gratz vom 12 Jän­ner 1921. HHStA Wien, AAB, Nr. 1921-2. 18 Amtserinnerung Bittners vom 14 Januar 1922. HHStA Wien, AAB, Nr. 1922-9. 20

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