Schiriefer, Andreas: Deutsche, Slowaken und Magyaren im Spiegel deutschsprachiger historischer Zeitungen und Zeitschriften in der Slowakei - Interethnica 9. (Komárno, 2007)
2 Methodische und analítische Grudnlagen
ausbleiben muss. Begriffe von einer solch tragenden Bedeutung wären etwa „Ungar", „Nation", „Nationalität" oder „Vater“- bzw. „Mutterland“. Bei der Annäherung an die jeweilige Bedeutung solcher Begriffe zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort muss natürlich auch darauf geachtet werden, von wem sie geäußert und an wen sie gerichtet wurden. Für die Konstellationen der Sprachakteure - also von Sprechern und Adressaten - gab es in den bearbeiteten Publikationsorganen mannigfaltige Möglichkeiten. In den vorliegenden Fällen gehörten zu den „Sprachakteuren" auf der Seite der „Sprecher“ die Autoren in den deutschsprachigen Zeitungen. Dies konnten Deutsche sein, die mehr oder weniger ungarisch fühlten, sich also eher als Ungarn oder aber als Deutsche bezeichneten. Andererseits konnten natürlich auch Magyaren oder Slowaken in der Zeitung - zumeist deutschsprachig - veröffentlichen. Auf der Seite der Adressaten für diese Artikel konnten ebenfalls Magyaren oder Slowaken, bzw. ungarisch- oder aber mehr deutschbewusste Deutsche stehen. Für Koselleck ist der Blick auf diese Akteure unerlässlich um die Semantik der sich wandelnden Grundbegriffe zu ermitteln. Damit strebt er letztlich eine Analyse von Sprachhandlungen insgesamt an, überwindet somit den engeren Rahmen einer Begriffsgeschichte hin zu einer umfassenderen Diskursanalyse.9 Eine solche Analyse lässt Rückschlüsse auf die Argumentationen innerhalb einer Gesellschaft zu und zeigt Flandlungsoptionen auf. Gerade hinsichtlich der ungarischen Nationalitätenpolitik wurden immer wieder Möglichkeiten diskutiert, bevor noch irgendwelche Beschlüsse oder Gesetze vereinbart oder verabschiedet wurden. Geschichte kann daher tatsächlich ganz unmittelbar als Entscheidung von Alternativen im Unterschied zwischen einem zwangsläufigen Ablauf begriffen werden. Diese Alternativen oder „Handlungsdispositionen“ erscheinen in den vorliegenden Diskursen. Vor Augen halten muss man sich bei dieser Vorgehensweise die Grenzen, die auch Koselleck anspricht. Diskurse schaffen gleichsam Wirklichkeiten, ohne tatsächliche Realitäten abzubilden. Anhand der Diskurs-, oder Begriffsgeschichte erhalten wir also vor allem Erkenntnisse über Gedanken(dispositionen), Hypothesen, Meinungen oder Ideologien - und damit schließlich all jene Faktoren, die an erster Stelle die Werthaltungen der einzelnen Teile der Gesellschaft prägten. Um zu einem umfassenderen und historisch bewertbaren Bild zu gelangen, müssen die Analyseergebnisse in einen Abriss der Ereignisgeschichte eingebettet werden. 9 Zur Weiterentwicklung einer engen Begriffsgeschichte beachte man die Arbeiten von Rolf Reichardt zu einer „sozialhistorischen Diskurssemantik“ und die Weiterentwicklung des Systems vor allem durch die anglo-amerikanische Forschung der so genannten „Cambridge School". Deren Vertreter - etwa John Pocock oder Quentin Skinner - orientieren sich vor allem an den Überlegungen der späten Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins und den angloamerikanischen linguistischen Sprechakttheorien John L. Austins und Richard Searles. Politische Sprache verstehen sie zugleich auch als politisches Handeln, gehen von einer linguistischen Konzeption von Politik aus und verlangen einer strikte Kontextualisierung der untersuchten Texte. Siehe dazu etwa: Eckhart Hellmuth, Christoph von Ehrenstein: Intellectual History Made in Britan: Die Cambridge School und ihre Kritiker, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 149-172. 16