Judit Tamás: Verwandte typen im schweizerischen und Ungarischen kachelfundmaterial in der zweiten hälfte des 15. jahrhunderts (Művészettörténet - műemlékvédelem 8. Országos Műemlékvédelmi Hivatal,1995)
Auswertung
vorliegenden Kacheltypen von vornherein die Möglichkeit ausschließt, daß sie alle - und zwar in einer relativ kurzen Zeit - aus ein und derselben Werkstatt hervorgegangen sind. Ganz im Gegenteil ist mit gutem Grund anzunehmen, daß jede Werkstatt über einen eigenen Model oder besser mehrere eigene Model verfügte. Imre Holl hatte schon vor fast 20 Jahren 316 festgestellt - ohne eigene typologische Vergleichsuntersuchungen durchführen zu können -, daß mehrere Werkstätten 317 parallel zueinander einen identischen oder ähnlichen Motivschatz verwendeten, der etwa von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Jahrhundertwende in „Mode" war; durch unsere Ergebnisse wurde nun diese Vermutung zur Gewißheit. Die Homogenität des Musterschatzes der süddeutschen Werkstätten war trotz aller Unterschiede so auffällig, daß sie uns veranlaßte, dafür nicht nur typologische und technologische Gründe zu suchen. Die methodischen Grenzen der vorliegenden Arbeit mußten also überschritten werden, um eine hinreichende Erklärung für dieses Phänomen finden zu können, die in der Sozialgeschichte, namentlich in der Existenz des oberrheinischen Hafnerbundes unter der Schirmherrschaft von Henman Offenburg lag. 318 Als Vertrauter des Kaisers Sigismund hatte der berühmte Basler Diplomat, Ritter Henman Offenburg, am 15. September 1435 ein interessantes Reichslehen erhalten, und zwar den Rang und die Rechte eines „hoptherren des gemeinen hafner hantwerks von Ravenspurg bis gen Strassburg". In der Lehensurkunde heißt es, daß die Ordnung und Gewohnheit der obgenannten Verbindung der Hafner neuerdings unter kaiserlichem Siegel bestätigt wurde, wonach die Hafner den Herrscher gebeten haben, ihnen auch einen Hauptherrn zu bestimmen. Als ersten Schritt in der Ausübung seines neuen Amtes lud Offenburg 18 Hafnermeister in Obern Landen (am Bodensee) und in Untern Landen (am Oberrhein) nach Laufenburg ein, wo am 27. Dezember 1435 die Ordnung des Hafnerbundes beschlossen wurde. Darin wird die Berufsausübung der zusammengeschlossenen Handwerker in der Art einer Zunftordnung sowie das Verhältnis zwischen Vereinigung und Hauptherrn geregelt, über die innere Organisation des Bundes ist ihr aber nichts zu entnehmen. Welche Auseinandersetzungen diese Belehnung Offenburgs mit anderen Städten ausgelöst hat, beweist ein gleichlautendes Schreiben Basels vom 21. Januar 1436 an Straßburg, Colmar, Schlettstadt, Kaysersberg, Mülhausen, Oberehnheim, Freiburg, Breisach und Neuenburg, in welchem mitgeteilt wird, „daz die meister und knechte haffener handwercks zwischent Straßburg und Rafenspurg ... etwaz friheiten von dem keiser erworben hant"; weiterhin werden die oberrheinischen Städte aufgefordert, Gesandte auf den 5. Februar nach Breisach zu schicken, um die Hafnervereinigung zu besprechen. Nach mehrmaliger Verzögerung wurde die Versammlung der beteiligten Städte am 29-30. April 1436 in Straßburg abgehalten, wo man eine rheinische Knechtsordnung konzipierte und wohl auch eine Resolution verabschiedete, nach der beim Kaiser erwirkt werden solle, daß er in Zukunft ohne die Einwilligung der Stadträte keine Handwerksbelehnungen verleihen möge. Aus diesen Beschlüssen bzw. den vorangehenden Vorschlägen sowie aus der Korrespondenz zwischen den Städten und dem Schirmherrn geht hervor, warum sich die Städte als bisherige Kontrollinstanzen so heftig gegen diesen regionalen Zusammenschluß einsetzten; sie befürchteten die Verletzung ihrer Kompetenzen und darüber hinaus die Möglichkeit, daß damit nicht nur ein Meisterbund, sondern auch eine gefährliche regionale Gesellenorganisation entstehen könnte, was sich übrigens sehr bald als durchaus berechtigt erwiesen hat.