Leopold Auer - Manfred Wehdorn (Hrsg.): Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (2003)

Geschichte - Michael Hochedlinger: "Geistige Schatzkammer Österreichs". Zur Geschichte des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1749-2003

30 Geistige Schatzkammer Österreichs auch in Bergstollen ausgelagert. Während aber das Archivgebäude am Minoritenplatz den Bombenkrieg weitgehend unversehrt überstand, ist wertvollstes Material zur inne­ren Geschichte der Habsburgermonarchie in den letzten Kriegstagen 1945 ausgerech­net in einem niederösterreichischen Außendepot vernichtet worden. Die erst 1948 abgeschlossene Rückführung der ausgelagerten Archivbestände erfolgte mit logistischer Hilfe der alliierten Besatzungsmächte, die diese Gelegenheit allerdings zugleich auch für eine Durchsicht des jüngeren, politisch noch relevanten Aktenmaterials nützten. Neuordnung und Neuaufstellung sollten noch viele Jahre in Anspruch nehmen. Personell war das Haus-, Hof- und Staatsarchiv nach der Befreiung ein Trümmerhaufen. Bittner hatte noch Anfang April 1945 Selbstmord begangen, und bis 1947 waren alle Archivare mit nur einer Ausnahme aufgrund der Entnazifizierungs­maßnahmen der neuen österreichischen Verwaltung aus ihren Funktionen entfernt wor­den. Erst um 1950 erreichte die Belegschaft wieder einen Stand von acht akademischen Archivaren. In organisatorischer Hinsicht hat die junge Republik stark an die in der NS-Zeit geschaffene zentralistische Struktur angeknüpft. Das Behördenüberleitungsgesetz vom Juli 1945 machte aus dem Reichsarchiv Wien das Österreichische Staatsarchiv beste­hend aus den Abteilungen Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungs­archiv, Finanz- und Hofkammerarchiv, dem bisher stets eigenständigen Kriegsarchiv und dem Verkehrsarchiv. Die Generaldirektion führte ab September 1945 Leo Santifaller, zugleich ordentlicher Professor an der Universität Wien und Vorstand des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv nahm auch im Verband des Österreichischen Staatsarchivs einen prominenten Platz ein, nicht zuletzt dadurch, daß die Generaldirektion wie schon zuvor die Leitung des Reichsarchivs im Direktionszimmer am Minoritenplatz untergebracht war. Die 1948 als Organ des Staatsarchivs geschaffenen „Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs" wurden bis Ende der achtziger Jahre von Redaktionsteams aus Mitarbeitern des Haus-, Hof- und Staatsarchivs betreut und zu einem anerkannten Fachforum aufgebaut. Es entsprach dem Zug der Zeit und dem weiter zunehmenden Benützerandrang aus aller Welt, wenn nach dem Zweiten Weltkrieg das Bemühen um Außenwirkung und Öffentlichkeitsarbeit, vor allem aber die serviceorientierte Bereitstellung von Material für Forschung von außen die wissenschaftliche Eigenproduktion allmählich zu überla­gern begannen. Der 200. Jahrestag der Gründung des Haus-, Hof- und Staatsarchivs wurde im Jahre 1949 in einer großen Festveranstaltung unter reger Anteilnahme der Staatsspitze der jungen Republik Österreich begangen. Im kleinen Rahmen hat man ab 1947 mit einigem Erfolg auch Archivalienausstellungen zu verschiedenen Themen ver­anstaltet. Schon die Erbauer des Archivzweckbaus am Minoritenplatz hatten auf Wunsch des k. u. k. Außenministeriums einen eigenen Ausstellungsraum eingerichtet, in dem ab 1904 in etwa drei Dutzend Vitrinen zur Förderung des „vaterländischen Geschichtsbewußtseins" die Prunkstücke des Archivs einer breiteren Öffentlichkeit prä­sentiert wurden. Nach Kriegsausbruch 1914 geschlossen, ist die Ausstellung - deutlich erweitert und modernisiert - 1924 durch den Bundespräsidenten und Mitglieder der Bundesregierung wieder eröffnet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde neben zahlreichen Wechselausstellungen die 1949 für das Jubiläum eingerichtete Hauptausstellung „1100 Jahre Österreichische und europäische Geschichte" schließlich zu einer gut besuchten Dauereinrichtung, ehe sie Anfang der siebziger Jahre aus kon- servatorischen Gründen aufgegeben werden mußte. Die schon in den 1920er Jahren, dann wieder in den fünziger Jahren thematisierte Errichtung eines Zentralarchivbaus für alle Abteilungen des Österreichischen Staatsarchivs wurde 1982-1986 am Standort Nottendorfergasse in Wien-Erdberg umge­setzt. Die offizielle Übergabe des Neubaus fand im April 1988 statt, die Generaldirektion und das Archiv der Republik bezogen als erste das Haus, das Kriegsarchiv und das Allgemeine Verwaltungsarchiv folgten in den Jahren danach. An

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