Leopold Auer - Manfred Wehdorn (Hrsg.): Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (2003)

Geschichte - Michael Hochedlinger: "Geistige Schatzkammer Österreichs". Zur Geschichte des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1749-2003

zeit. Unter den „historischen Abteilungen" des Staatsarchivs nimmt das Haus-, Hof- und Staatsarchiv unbestritten einen besonderen Platz ein: 1749 als „Geheimes Hausarchiv" gegründet wurde es rasch zum Zentralarchiv der Donaumonarchie und insbesondere des Hauses Habsburg: der Familie im engeren Sinne („Haus"), der Hofstaatsverwaltun­gen („Hof") und der habsburgischen Außenpolitik („Staat"), mit der Aufstieg und Fall der Dynastie und des von ihr über die Jahrhunderte gebauten Staates auf das engste ver­knüpft sind. Seinen merkwürdig barock klingenden, in Wahrheit aber erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts geprägten Namen trägt das Haus-, Hof- und Staatsarchiv heute mehr denn je zu Recht. Mit der Gründung des Archivs der Republik 1984 und der Abgabe des Schriftguts der 1. und 2. Republik sowie der NS-Zeit an diese jüngste Abteilung des Österreichischen Staatsarchivs scheint das Haus-, Hof- und Staatsarchiv mehr als 80 Jahre nach dem Zerfall der Donaumonarchie gleichsam an seine Wurzeln zurückge­kehrt zu sein. Aus dem politisch-dynastischen Sammlungs- und Verwahrungsauftrag der Anfänge ist freilich eine nicht weniger dringliche kulturelle Verpflichtung zur Sicherung und Erschließung einzigartiger Schriftdenkmäler geworden, deren Bedeutung weit über Mitteleuropa, ja über unseren Kontinent hinausreicht. Der landesfürstliche Urkundenschatz vor 1749 Die existentielle Krise des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740-1748), in dem sich die Habsburgermonarchie nach Erlöschen der männlichen Linie des Hauses nur mit Mühe gegen die Prätentionen und bewaffneten Angriffe alter wie neuer Feinde behaup­ten konnte, hatte die strukturellen Defizite der „monarchia austriaca" überdeutlich her­vortreten lassen. Eine tiefgreifende, ja revolutionäre Staats- und Verwaltungsreform, die aus dem lässigen Konglomerat von Ländergruppen endlich einen zentral gesteuerten Einheitsstaat formen sollte, schien unausweichlich und wurde seit Ende der 1740er Jahre mit großer Bestimmtheit ins Werk gesetzt. Vor dem Hintergrund dieses fundamentalen Modernisierungsprozesses ist auch die 1749 beschlossene Gründung eines „Geheimen Hausarchivs" als Repositorium der wichtigsten Rechtstitel des Hauses Habsburg zu sehen. Aufrufe zur Schaffung eines sol­chen Gesamtarchivs, eines stets griffbereiten „Universal-Staatsarchivum domus Austriae", waren seit Beginn des 18. Jahrhunderts wiederholt laut geworden. Ihre Umsetzung fanden sie aber erst, als Maria Theresia während des Erbfolgekrieges schmerzlich hatte erkennen müssen, „daß zu Vertheidigung unserer Erbfolgsgerecht- samkeiten wieder die sich verschiedentlich angebene Praetendenten es an dem Abgang deren hierzu benöthigten, hier und dort bey ehemaliger Residenznehmung unserer glor­reichsten Vorfahreren in denen Länderen zuruckgelassenen Haus- und anderen gehei­men Schrifften und Documenten gefählet habe". In der Tat lagerten die zentralen Staats­und Familienurkunden bis zu ihrer Zentralisierung im neuzuschaffenden Hausarchiv weit verstreut nicht nur am allerhöchsten Hoflager in Wien, sondern auch in den ehe­maligen Residenzorten Innsbruck, Graz und Prag. Den Kern des habsburgischen Urkundenschatzes bildete das Archiv der Herzoge von Österreich, also der Babenberger und frühen Habsburger, in dem auch die Urkundensammlungen jener Familien aufgingen, deren Hoheitsrechte im Laufe der Zeit an die österreichischen Herzoge fielen, etwa der Görzer, der Wailseer, der Cillier, der Schaunberger usw. Ab 1137 ist das Archiv der babenbergischen Herzoge in Stift Klosterneuburg nachweisbar. Unter den letzten Babenbergern wurde es auf die Feste Starhemberg (Markt Piesting-Dreistetten) nahe Wiener Neustadt in die Obhut des Deutschen Ordens übertragen, ging dann an Ottokar von Böhmen und schließlich an die Habsburger, die 1299 einzelne besonders wichtig scheinende Urkunden für kurze Zeit in Stift Lilienfeld hinterlegten, später aber den Urkundenschatz in der Sakristei der Burgkapelle zu Wien deponierten. Geistige Schatzkammer Österreichs

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