Leopold Auer - Manfred Wehdorn (Hrsg.): Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (2003)

Geschichte - Michael Hochedlinger: "Geistige Schatzkammer Österreichs". Zur Geschichte des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1749-2003

18 Geistige Schatzkammer Österreichs Die Länderteilungen des Spätmittelalters führten auch zur Zerreißung der Urkundensammlung nach territorialen Gesichtspunkten; an allen Residenzorten began­nen sich auf diesem alten Grundstock neue Archive zu bilden, durch Eigenproduktion der Kanzleien in Gestalt von Registerbüchern, die den Auslauf verzeichneten, durch neu eingehende Urkunden und durch Übernahme von Fremdregistraturen. Als Maximilian I. (1486/1493-1519) die habsburgischen Länder Ende des 15. Jahrhunderts wieder in einer Hand vereinigte, hatten sich so die Lagerorte bedenklich vervielfacht. Abgesehen von den Vorlanden lagerte Material in Wien, Graz, Wiener Neustadt, wo sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter Zuziehung des bis 1435 auf der Feste Klamm (Schottwien) untergebrachten Materials sowie der Grazer Sammlungen so etwas wie das Zentralarchiv der leopoldinischen Linie der Habsburger etabliert hatte, und schließlich in Innsbruck, wohin 1420 auch die bis dahin auf Schloß Tirol bei Meran lagernden Tiroler Archivalien aus vorhabsburgischer Zeit verbracht wurden. Ein Teil des habsbur­gischen Archivs befand sich zudem auf Burg Baden im Schweizer Aargau und fiel 1415 mit der Feste den Eidgenossen in die Hände. Schon Maximilian verfolgte den Plan, in Innsbruck, seiner Lieblingsresidenz, ein Zentralarchiv für alle Urkunden und Registerbücher des Hauses Österreich zu schaffen. Aus dem Jahre 1501 liegt sogar der Auftrag zur Erbauung eines feuersicheren Archivgewölbes in Innsbruck vor. Anfang des 16. Jahrhunderts unternahm der Kaiser verschiedene Anläufe, auch das Behördenschriftgut sichten und zumindest die wichtig­sten Urkunden ordnen, verzeichnen und sodann geschlossen verwahren zu lassen. Zwar ist es zur Ausführung dieser großartigen Pläne nicht gekommen, aber die maxi- milianeische Verwaltungsreform zu Ausgang des 15. Jahrhunderts mit Schwerpunkt Tirol führte doch insgesamt zu einer merklichen Konzentration von wichtigem Schriftgut verschiedenster Provenienz im Innsbrucker Schatzarchiv. Dort verblieb es auch, als sich unter Ferdinand I. (1521/22-1564) Wien als Hauptstadt und Verwaltungszentrum durch­setzte. Ferdinand hat sich sehr um eine „Flurbereinigung" im landesfürstlichen Archivwesen bemüht, die Zahl der wichtigen Lagerorte auf zwei - Innsbruck und Wien - reduziert und somit ein „Doppelzentralarchiv" geschaffen. Durch den Sekretär und Registrator der Oberösterreichischen Regierung zu Innsbruck, Wilhelm Putsch (ca. 1480-1551), veranlaßte er die Ordnung und Verzeichnung der Urkundendepots in Innsbruck und in Wien, wo das durch Auflösung des Archivs in der Burg zu Wiener Neustadt vermehrte Material nun im Schatzgewölbe des Widmerturms und nicht mehr wie früher in der Burgkapelle verwahrt wurde. Putschens Ordnungsarbeiten, dokumentiert in monumentalen Repertorien, wurden dann aber durch die neuerliche Zerreißung des Wiener Schatzgewölbearchivs im Gefolge der Länderteilung von 1564 schwer in Mitleidenschaft gezogen. An der Zersplitterung der Schatzarchive hat selbst die Wiedervereinigung aller habsburgischer Länder durch Leopold I. im Jahre 1665 nichts geändert. Mit der Tätigkeit Putschs waren die Schatzarchive zu Innsbruck und Wien in ihrer damals geschaffenen Ordnungsstruktur weitgehend erstarrt und zu „historischen" Archiven geworden. Besonders wichtige neuere Familienurkunden nahm seit damals die kaiserliche Schatzkammer (wo auch die Kleinodien verwahrt wurden) auf. In dieser Erstarrung spiegelte sich nicht zuletzt auch die administrative Revolution der Frühen Neuzeit wider, denn zugleich mit der Ausbildung eines voll entwickelten Fachbehördenapparats fielen in den Kanzleien der einzelnen Stellen wie der Reichshofkanzlei, des Hofkriegsrats, der Hofkammer oder bei den landesfürstlichen Länderverwaltungen über Urkunden und Registerbücher hinaus Massenakten an, die man in den Registraturen der Behörden selbst, mit zunehmendem Anschwellen der Bestände in eigenen „alten Registraturen" (oder eben „Archiven") aufbewahrte. Im Angesicht dieser Professionalisierung mußte auch die Verwahrung des landes­fürstlichen Urkundenschatzes radikal verbessert werden. Das nur nebenamtlich betreu-

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