1100 Jahre österreichische und europäische Geschichte in Urkunden und Dokumenten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1949)

1100 Jahre österreichische und Europäische Geschichte - Einleitung

einzigen und in sich geschlossenen Beurkundungsstelle bzw. Kanzlei erwachsen; das Haus-, Hof- und Staats­archiv ist vielmehr eine Archivanstalt, die mehrere Archivkörper in sich vereinigt, doch ist der innere organische Zusammenhang dieser Archivkörper in den meisten Fällen durch das österreichische Herrscher­haus bzw. durch den österreichischen Staat gegeben. Die Keimzelle des archivalischen Bestandes des Haus-, Hof- und Staatsarchivs bildet das alte Archiv der Babenberger, das seit 1137 in Klosterneuburg aufbewahrt und 1180 zum ersten Male geordnet wurde. Nach dem Aussterben des Geschlechtes kam das Archiv an die neuen Machthaber und zwar zunächst an König Ottokar von Böhmen und dann an die Habsburger; diese hinterlegten die wertvollsten Urkunden im Jahre 1299 im Kloster Lilienfeld. Wohl zu Anfang des 14. Jahrhunderts wurde das alte babenbergische Archiv mit dem inzwischen erwachsenen habsburgischen Archiv vereinigt. Dieser vereinigte Archiv­körper bildete sich seither durch Zuwachs der einlaufenden und durch Festhaltung der auslaufenden Stücke in den Hegisterbüchern organisch weiter und wurde so der Grundstock des Haus-, Hof- und Staats­archivs. Durch die Spaltung des habsburgischen Hauses in mehrere Linien wurde auch das Archiv nach landschaftlichen Gesichtspunkten zerrissen. Maximilian I., der den Besitz sämtlicher Linien wieder in seiner Hand vereinigte, faßte den Plan, ein Gesamtarchiv des Erzhauses zu gründen. Doch erst Ferdinand I. hat diesen Plan wenigstens teilweise verwirklicht: unter ihm wurde das archivalische Material an zwei Orten, in Wien (als Hauptsitz) und in Innsbruck, zentralisiert und durch den Sekretär der Innsbrucker Regierung, Wilhelm Putsch, in den Jahren 1527—1547 geordnet und repertorisiert. Das Archiv der Herzoge bzw. Erzherzoge von Österreich als österreichischer Landesfürsten hat aber nun zunächst keine organische Weiterbildung erlebt und blieb in dem ihm von Putsch gegebenen Gefüge bis zum Jahre 1749 erhalten. Infolge des seit Beginn der Neuzeit immer mehr gesteigerten schriftlichen Geschäftsverkehrs entwickelte sich eine immer differenziertere Arbeitsteilung der Verwaltung, die zur Bildung zahlreicher Fachbehörden führte; so entstanden die Reichshofkanzlei, die Hofkammer, der Hofkriegsrat, die Hofkanzlei usw. Die bei diesen verschiedenen Behörden und Ämtern erwachsenen Urkunden, Akten und Bücher gelangten nun nicht mehr an das habsburgische Hauptarchiv, sondern ver­bheben an ihren Ursprungsorten; so sammelten sich in den Registraturen der betreffenden Behörden allmählich archivalische Bestände und wmrden zu eigenen Archivkörpern, die aber innerlich durch das Band des österreichischen Staatsgebildes bzw. des habsburgischen Hauses zusammengehalten wurden. Ähnliche Verhältnisse finden sich auch bei den habsburgischen Haus- und Hofbehörden. Schon seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert und dann neuerdings seit dem Anfang des 18. Jahr­hunderts setzen Versuche und Vorschläge ein, zur Gründung eines Gesamtarchivs (Haupt- und Hausarchiv) des habsburgischen Erzhauses. Zunächst kam aber von allen diesen Plänen nichts zur Ausführung. Erst die Verlegenheiten, in die man im österreichischen Erbfolgekrieg geraten wTar, als es, wie Maria Theresia an den Oberstburggrafen in Prag schrieb, an den ,,zur Verteidigung Unserer Erbfolgsgerechtsamkeiten wider die sich verschidentlich angebenden Prätendenten . . . benöthigten, hier und dort bei ehemaliger Residenzwohnung Unsrer Vorfahren in den Ländern zurückgelassenen Haus- und anderen geheimen Schriften und Documenten“ fehlte, führte zu dem auch von den Zentralisierungstendenzen der Zeit ge­tragenen Entschluß, an die Errichtung eines Gesamtstaatsarchivs heranzugehen. Die endgültigen Richtlinien für die Bildung eines Gesamtarchivs wurden vom Hofsekretär Taulow von Rosenthal in seiner im Juli oder August des Jahres 1749 verfaßten Denkschrift J) entworfen. Diese Vorschläge hat die Kaiserin in dem an Rosenthal gerichteten „Decretum instructivum“ vom 13. September 1749 gebilligt und ihn beauf­tragt, die Privilegien des Hauses Österreich, die Urkunden, die die gesamten Staaten oder die Monarchie betreffen, sowie auch die Konstitutionen der Provinzen und Stände in dem zu errichtenden Hausarchiv zu hinterlegen. Damit ist das Haus-, Hof- und Staatsarchiv ins Leben getreten; ein eigentlicher Gründungs­akt ist nicht erfolgt und auch eine Stiftungsurkunde ist nicht vorhanden. Die Bedeutung des „Decretum instructivum“ liegt darin, daß nunmehr auf Grund desselben, das alte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts erstarrte babenbergisch-habsburgische Archiv der Herzoge von Österreich durch die Einziehung von Archivalien vornehmlich aus Prag, Graz und Innsbruck sowie durch die in die Wege geleitete Vereinigung mit den seither bei den verschiedenen Zentral- und Mittelbehörden erwachsenen Archivkörpern zu neuem Leben erw'eekt und organisch in die Gesamtstaatsverwaltung einzugliedern versucht wurde. Mit vollem Recht kann daher das Jahr 1749 als Gründungsjahr und die Kaiserin Maria Theresia als die Gründerin des Haus-, Hof- und Staatsarchivs angesehen werden. Im Jahre 1762 wurde das Haus-, Hof- und Staatsarchiv der Hof- und Staatskanzlei, dem späteren Ministerium des kaiserlichen Hauses und des Äußern, unterstellt. Seither flössen ihm hauptsächlich und in erster Linie die Archivalien dieser Behörde zu und damit erhielt das Haus-, Hof- und Staatsarchiv seinen eigentlichen Charakter, den es bis zum heutigen Tage behalten hat. Die staatlichen Umwälzungen der napoleonischen Zeit, insbesondere aber die erfolgreichen Bemühun­gen des Freiherrn von Hormavr, der 1808—1813 Direktor des Archivs war, haben das Haus-, Hof- und 1) Siehe Tafel Nr. ~>9. XU

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