Erdő Péter - Rózsa Huba: Eschatologie und Jahrtausendwende 2. Deutsch-Ungarischer Theologentag Budapest, 3. März 2000 - Studia Theologica Budapestinensia 26. (2000)

Martha Zechmeister: Apokalyptik: die unzeitgemässe Botschaft von der befristeten Zeit. Annäherungen über jüdisch inspirierte Philophen unseres Jahrhunderts

Triumphierenden - oder sind dies nicht vielmehr die diskontinuierli­chen Geschichten der Unter-die-Räder-Gekommenen; die Geschich­ten, die mit jedem Erschlagenen stets wieder abbrachen? Der Engel der Geschichte ist der, der sich weigert die Hoffnungen der Geschei­terten preiszugeben, sich weigert anzuerkennen, daß es eben das ein­zig Vernünftige und Realistische sei, sich dreinzufinden, daß sie vom Lauf der Geschichte überrollt wurden. Er ist der, der sich dem Axiom widersetzt, daß das Gescheiterte per se auch das Widerlegte sei! Das Spezifische der apokalyptischen Schau der Geschichte Walter Benjamins zeigt sich m. E. erst im dramatischen Gegenüber zu Nietz­sche. Wir können ihr die berühmten, ebenso visionären Worte Nietz­sches aus der „Fröhlichen Wissenschaft" an die Seite stellen, die für ihn die Situation nach dem Tod Gottes beschreiben: „Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an?"4 Das, was Nietzsche und Benjamin verbindet, ist, daß sie sich mit derselben „unbedingt redlichen Wahrhaftigkeit" jede Konstruktion eines immanenten Ge- schichtsinns verbieten; jede direkt aus dem Gang der Geschichte ab­leitbare Logik und Gerichtetheit - auch wenn dies „dialektisch" ver­standen würde: Denn jede Katastrophe wäre dabei noch einmal im Sinne eines Vöranschreitens zur je höheren Stufe instrumentalisiert. Die so unausweichliche wie unheimliche Konsequenz des Todes Gottes ist für Nietzsche, daß jede Idee von einer Gerichtetheit oder einem Finale der Geschichte verabschiedet werden muß. Für die von der Sonne losgekettete Erde bleibt nur noch ein halt- und bodenloses Bersten nach allen Seiten. Demgegenüber sucht Benjamin - ganz im Unterschied zu Nietzsche - um jeden Preis die Gerichtetheit, das Kontinuum menschlicher Geschichte zu retten. Auch ihm verbietet sich die Rekonstruktion einer in der Geschichte wirksamen prozeß- haft-evolutiven Fortschrittslogik, einer Siegerlogik, die einer un­menschlichen Verhöhnung der Opfer gleichkäme; zu retten ist für ihn menschliche Geschichte vielmehr einzig über das Eingedenken und das Erinnern der erschlagenen Hoffnungen - und der diese Hoffnun­gen tragenden Subjekte. Dies besagt die „Aufgabe, die Geschichte ge­4 F. NIETZSCHE, Die fröhliche Wissenschaft III, 125. 35

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