Christian Kuhn: Die theologische Begründung des Kirchenrechts - Studia Theologica Budapestinensia 2. (1991)

2. Die heutige Diskussion

So anerkannt die wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Schule sind, bleibt doch die Frage bestehen, ob sie in der Sache selbst und vor al­lem in der Begründungsfrage über den Ertrag der Schule des öffentli­chen Rechts (lus Publicum Ecclesiasticum) hinauskommen, bzw. ob es ihnen gelingt, das Recht der Kirche als ein genuin kirchliches Phäno­men zu begründen, oder ob sie dafür tatsächlich in den metakanoni­schen Bereich ausweichen — wie RUOCO VARELA feststellt(5). Die spanische Kanonistenschule, die „Schule von Navarra" (P. LOM­BARDIA, J. HERVADA, A. de la HERA, P.J. VILADRICH und andere), die sich nach ihrem eigenen Verständnis aus der Italienischen Schule entwickelt hat und ihre entscheidende Herausforderung im Positivis­mus der Italiener sieht, orientiert sich in ihrem Ansatz zu einer theolo­gischen Begründung des Kirchenrechts auch und wesentlich an natur- rechtlichen Gesichtspunkten. Ohne die übernatürlichen Wesenzüge der Kirche zu mindern oder ihre zentrale Bedeutung herabstellen zu wollen, ist hier doch der natur­rechtliche Ansatz der entscheidende Ausgangspunkt. Die führenden Vertreter dieser Schule, von Haus aus Juristen, konnten sich einerseits unmöglich dem unleugbaren rechtstechnischen Fort­schritt verschließen, welcher in der Übernahme der Rechtsmethodolo­gie der weltlichen Rechtswissenschaft für die Erfassung des Kirchen­rechts lag, andererseits konnte ihnen jedoch ebensowenig als Lehrern an einer kanonistischen kirchlichen Fakultät die rechtspositivistische Gefahr verborgen bleiben, die eine undifferenzierte, den religiösen As­pekt des Kirchenrechts vernachlässigende Anwendung der methodo­logischen Prinzipien des weltlichen Rechtsdenkens auf das kanonisti- sche Recht hervorrufen würde. Die Kanonisten dieser Schule interessiert die der Kirche immanente Gerechtigkeit die hic et nunc zu verwirklichen ist, als ein Faktor, der das soziale Leben der Kirche gestaltet, und ein wesentliches Be­gründungselement für das kirchliche Recht darstellt. Insofern nämlich ist Recht auch in und für die Kirche begründet und legitim vorhanden, als es auch für sie das Erfordernis der Gerechtig­20

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