Folia Theologica 17. (2006)

Roland Tamás: Das Schicksal des Reiches

DAS SCHICKSAL DES REICHES 249 Beide, Religion und Kultur, erheben so einen universellen An­spruch. „Wie kann dieser doppelte Anspruch vereinigt werden?"18 19 Der protestantische Theologe gibt auf diese Frage eine differen­zierte Antwort. In seiner ersten und fundamentalen Antwort spricht er von der „gegenseitigen Immanenz von Religion und Kul­tur"20; Religion und Kultur sind ineinander, das eine ist im ande­ren. Die Religion gibt der Kultur die Tiefe und den letzten Sinn, die Freiheit des Kulturellen gibt aber der Religion immer neue Aus­drucksformen. „Kurz gefasst: Religion ist die Substanz der Kultur, und Kultur ist die Form der Religion."21 Es gibt allerdings auch einen en­geren Begriff von Religion, das, was für gewöhnlich Religion ge­nannt wird, nämlich „eine bestimmte Ausformung dessen, was uns unbedingt angeht"22, und ebenso gibt es auch die Kultur im profa­nen Sinne. Tillichs zweite Antwort ist deshalb, dass wir in unserer tatsächlichen Existenz eine Spaltung des Religiösen und des Profa­nen haben. Religion und Kultur stehen nicht ineinander, sondern nebeneinander und gegeneinander. Die Religion erhebt einen un­bedingten Anspruch und gibt auch den Formen ihres eigenen kul­turellen Ausdrucks unbedingte Gültigkeit. Tillich verwendet dafür das Wort Heteronomie, und drückt damit aus, dass der Mensch ei­nem ihm fremden Gesetz unterworfen wird. „Das ist das, was ich das Dämonische in der Religion nennen würde. Dämonie liegt vor, wenn im Namen des Göttlichen eine zerstörerische Forderung ge­stellt wird."23 Auf der anderen Seite fordert sich die Kultur eine unangetastete Freiheit. Im Namen dieser Freiheit wehrt sie sich ge­gen die Religion und greift sie sogar an. Dies führt zur Autonomie: Der Mensch wird das Maß der Kultur und Religion, er wird sein ei­genes Gesetz. Wenn die Kultur so die Tiefendimension des Religiö­sen verliert, wird sie zu einer entleerten, profanierten Kultur und ist ebenso dämonischen Kräften ausgesetzt. 18 Tillich: Über die Grenzen (1967) 94. 19 Tillich: Über die Grenzen (1967) 94. 20 Tillich: Religion (1967) 82. 21 Tillich: Aspekte (1967) lOlf. (Hervorhebung im Original) 22 Tillich: Über die Grenzen (1967) 95. 23 Tillich: Über die Grenzen (1967) 97.

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