Folia Theologica 15. (2004)

Hans Mendl: Ethikunterricht in Deutschland

84 H. MENDL die Förderung ethischer Urteilsbildung in Anlehnung an die neue­ren moralpsychologischen Erkenntnisse. Religion im Rahmen des Ethikunterrichts beschränkt sich meist auf Religions- und Kulturkunde. Gelegentlich werden religionswis­senschaftliche, philosophische, gesellschaftswissenschaftliche und bisweilen auch theologische Fragestellungen miteinander ver­schränkt. Neben der grundsätzlichen Anfrage zur Begründbarkeit von Ethik ist der Umgang mit Religion der am heftigsten kritisierte Bereich innerhalb der Ethik-Fächer. Gleichsam aus der distanzier­ten Vogelperspektive würden Religion und Religionen betrachtet, und verkürzt auf ihre gesellschaftliche Funktionalität („Problemlö­sungspotential von Religionen und Weltanschauungen") hin aus­gewertet. Gerade bei der Auseinandersetzung mit der Einführung des Faches „Lebensgestaltung - Religionskunde - Ethik" wurde der begründete Verdacht geäußert, hier würden Religionen nur wie exotische Tiere im Zoo präsentiert. Zentral sind in allen Lehrplänen die Themen Identitätsfindung und Sozialkompetenz; hier lassen sich problemlos Bezüge zu den entsprechenden Themen in den Religionslehrplänen herstellen. Vor allem in der Oberstufe wird die Philosophie zur zentralen Bezugswissenschaft für den Ethikunterricht. Die aktuellen Reflexio­nen zur so genannten „Kinderphilosophie" schlagen sich in Meck­lenburg-Vorpommern am deutlichsten im Fach „Philosophieren mit Kindern" nieder. Auf doppelte Weise wird in den dortigen Lehrplänen ähnlich wie in Schleswig-FIolstein auf Immanuel Kant Bezug genommen: Philosophieunterricht will formal befähigen zur differenzierten Nachdenklichkeit (1. Selbst denken, 2. Sich an die Stelle jedes anderen denken, 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken) und orientiert sich inhaltlich an den vier Kantischen Fra­gen (Was kann ich wissen?, Was soll ich tun?, Was darf ich hoffen?, Was ist der Mensch?).38 In der Bandbreite möglicher Konzepte ist dieses Modell der Förderung eigener Nachdenklichkeit und des Anregens eigenen Philosophierens am weitesten entfernt von An­sätzen, bei denen man im Ethikunterricht dezidiert einen Werteka­non weitergeben will. 38 SCHWILLUS, 40. 66f.

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