Folia Theologica 9. (1998)
Péter Erdő: Die Reliquienverehrung im Kirchenrecht
FOLIA THEOLOGICA 9 (1998) 83 Péter ERDŐ DIE RELIQUIENVEREHRUNG IM KIRCHENRECHT Die Sitte der Pilgerfahrten und das Leben der Gnadenorte ist mit der Reliquienverehrung eng verbunden. Die kirchenrechtliche Regelung der Reliquienverehrung ist ein interessantes Beispiel amtlich kirchlicher Handhabung der Äußerungen der natürlichen Pietät. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: inwieweit machen die kanonischen Normen die Kriterien des katholischen Glaubens in dieser Welt der grösstenteils spontanen Religiosität geltend? I. Grundbegriffe Im Kontext der Reliquienverehrung unterscheidet die katholische Dogmatik und auch das Kirchenrecht Reliquien im engeren Sinn (vor allem die Überreste der Körper der Seligen und der Heiligen) und Reliquien im weiteren Sinn (Dinge mit denen die toten Leiber der Heiligen oder Seligen berührt oder die von denselben während ihres Lebens gebraucht worden sind). Man unterscheidet auch bedeutende (insignes) und andere Reliquien. Bedeutende Reliquien werden im Codex Iuris Canonici von 1917 der ganze Körper, der Haupt, der Arm, der Unterarm, die Hand, der Bein, das Herz, die Zunge oder jener Teil des Körpers genannt, an dem das Martyrium vollzogen wurde (CIC 1917 c. 1281, § 2). Aus gutem dogmatischem Grund betont schon der Codex von 1917, daß die Reliquienverehrung ein relativer Kult ist, in dem die Verehrung den Reliquien nur insofern erwiesen wird, inwiefern sie zur — der Verehrung unmittelbar würdigen — Person der Heiligen in Beziehung stehen (CIC 1917 c. 1255, § 2)1. II. Zur Geschichte der Disziplin der Reliquienverehrung Schon in der altchristlichen Zeit wurden die Überreste der Märtyrer und später auch der Bekenner von den Gläubigen verehrt. Bei den Gräbern der Märtyrer haben sich die Christen versammelt und ihren 1 Vgl. H. MARITZ, Die Heiligen-, Bilder- und Reliquienverehrung, in Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 1983, 846.