Folia Theologica 7. (1996)

Stanislav Zvolenský: Der "dolus" nach dem kanonischen Eherecht

90 S. ZVOLENSKŸ Von den vielen Belegstellen berücksichtigen wir noch eine zweite. Sie stammt aus der glossa ordinaria zu den Dekretalen Gregor IX., die von Bernard von Parma erarbeitet worden ist30. Die Frage, von wem die Theorie des dolus in spiritualibus entwickelt worden ist, konnte damit hinreichend beantwortet werden: Sie stellt eine Sonderposition gegenüber den Prinzipien des Römischen Rechts dar und wurde von den Kanonisten zur Rechtfertigung ihrer Ansicht, dolus cau­sam dans sei bei Verträgen bonae fidei im Bereich der spiritualia recht­sirrelevant, entwickelt. 1.2.3. Dolus substantialis - dolus accidentalis Papst Innozenz IV. hinterließ uns einen wichtigen Beitrag zu der tie­feren Erkenntnis des Dolus-begriffes. Wegweisend löste er einen Fall der Täuschung bei Klostereintritt31. Sollte sich jemand für das Klosterleben per se entschieden haben, jedoch über die Modalitäten in dem Kloster, in das einzutreten er beabsichtigte, getäuscht worden sein, so ist er nicht verpflichtet, all dies zu beobachten, worauf er sich gar nicht verpflichten wollte. Dieser Gedanke stellt ein Novum dar. Erstmals wird zwischen Substanz und Akzidenz bei der Ordensregel unterschieden32. Wollte man sich auf die Substanz (den Klostereintritt mit Gelübde) verpflichten, wird aber durch dolus über die Akzidentalia (das konkrete Klosterleben in die­sem Kloster) in Irrtum geführt, so steht einem ein Wechsel in ein anderes Kloster frei, in dem jene Bedingungen herrschen, auf die man sich ver­pflichten wollte. Mit anderen Worten: Dolus causam dans verungültigt den Ordenseintritt, wenn ein Kluger durch ihn zu Fall gebracht worden 30 Glossa ordinaria zu X. 1,40,6, v. ,fatuitatem": „Sic patet, quod licet dolus interve­niat in huiusmodi spiritualibus, non tamen subvenitur dolum passo, licet dolus det causam contractui simile C.20,3, constituit. Idem in matrimonio... Item no(to) quod in spiritualibus non habet locum in integrum restitutio, quia non vedentur de­cepti, qui meliorem vitam elegerunt”. 31 INNOCENZ IV., Apparatus, in X.3,32,20, n. 4: „Si autem secus esset, scii, quod teneretur aliquam religionem profiteri, tunc si contrarium diceretur, ingrediens post ingressum non teneretur profiteri. Et plus dicimus, quia etiam ingredientibus dice­ret, vos debetis profiteri regulam beati Aug., sed bene poteritis comedere carnes, et in illa ecclesia essent constitutiones quod non comederent carnes, bene possent co­medere carnes, cum ne regula habeat, nec universalis constitutio, nec eis posset ali­quod imputari. Cum igitur praedicta non voverit, nec ad ea teneantur de iure natu­rali, nec communi consuetudine; non ergo ad ea cogendi sunt, nisi essent in scan­dalum, in quo casu possent locum mutare. 32 Vgl. STEIDL H„ Die Theorie..., 199.

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