Folia Theologica 7. (1996)

Stanislav Zvolenský: Der "dolus" nach dem kanonischen Eherecht

DER „DOLUS” NACH DEM KANONISCHEN EHERECHT 89 kommenheit teilhaftig wurde oder zumindest werden konnte. Von den Prinzipien, die sonst für Verträge bonae fidei gegolten hatten, haben die Kanonisten, infolge ihrer Theorie vom dolus in spiritualibus, ausgenom­men: Dolus bei der religiösen Profeß (matrimonium spirituale) und dolus bei der Abgabe des Ehekonsenses (matrimonium carnale). Die Theorie vom dolus in spiritualibus hat beim Empfang der Ordination, bei Über­nahme des Tauf- bzw. Firmpatenamtes und bei der Auswahl der Begräb­nisstätte26 keine Anwendung gefunden. Der Sammelbegriff „spiritualia” findet sich als solcher im Corpus Iuris Canonici nicht. Seine Einführung in die Sprache der Kanonistik stellt die Arbeit der Glossatoren, und zwar bereits der Dekretglossatoren, dar27. Der Beweis für die vorhin aufgestellte Behauptung wird durch die von Johannes Teutonicus vor 1215 vollendeten und sofort als Glossa or­dinaria zum Dekret bezeichnten Apparatus erbracht. In C.20,3,5 wird die Frage entschieden, ob jene, die von Bischöfen oder Äbten getäuscht, zum Klostereintritt bewogen worden waren, nun auch gezwungen wären zu bleiben, mit der Unterscheidung der Doluswirkung auf materielle und spirituelle Güter: Sie müssen bleiben (perseverare cogantur), wenngleich vielleicht in einem anderen Kloster; ihr Hab und Gut sei den Erben zu­rückzugeben28. Die Glossa ordinaria nimmt Bezug auf v. „cogantur”29. Aus diesem Text geht die Verwendung des Begriffes dolus in spiritualibus deutlich hervor, wie auch die gegenüber den leges — Gesetzen des Römischen Rechts, die auch bei kirchlichen Rechtsgeschäften, die Temporalien be­treffend, Anwendung gefunden haben — von der Kirche bei Spiritualien vertretene Kontraposition. 26 Vgl. STEIDL H„ Die Theorie..., 97. 27 Vgl. STEIDL H„ Die Theorie..., 98. 28 C.20,3,5: „Hi vero, qui illecti comam deposuerunt, in eo, quod coeperunt, perseve­rare cogantur: res vero eorum haeredibus reddantur.” 29 Glossa ordinaria zu C.20,3,5, v. „cogantuC: „Sed dic quod licet hic dolus dederit causam contractui: ipse tamen non est deceptus, qui se Christo coniunxit. Vel dic quod hoc potius est imputandum fatuitati suae, quam dolo illius... Similiter cont­ractum matrimonium non rescindit dolus... Et est mirum, quod in spiritualibus contractus dolo initus tenet. Sed contractus mutu initus non tenet, cum secundum leges penitus contrarium sit. Nam secundum leges contractus dolo initus nullus est, sed contractus metu initus tenet, licet, rescindatur per actionem quod met(us) cau(sa).”

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