Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)

Sacra theologia

INTERPRETATIONSMÖGLICHKEITEN DES VERHÄLTNISSES... 95 Diese Mentalität hat dazu geführt, dass das Christentum, wenn nicht immer, so doch von Zeit zu Zeit, die verschiedenen Religionen als eine Reihe von Unter­religionen betrachtet und ihre Anhänger bisweilen als Heiden abstempelt, und die Kirchen, die ihren Glauben mit Gewalt durchsetzen, werden leicht zu poli­tischen Instrumenten, und das Streben nach Macht und Weltherrschaft kann zu einem grundlegenden Faktor in ihnen werden36. Die Religion neigt im Allgemeinen dazu, den Anspruch zu erheben, im Be­sitz der endgültigen Wahrheit zu sein, und in solchen Fällen verzichtet sie oft auf Kommunikation, um ihrer Überzeugung willen37. Jaspers argumentiert, dass es notwendig ist, diesen Ausschließlichkeitsanspruch zurückzuweisen, während die authentische christliche Grundhaltung ihre Offenheit für das Un­endliche bewahren muss, das sie in seiner Fülle weder fassen noch ausdrücken kann. An einer Stelle erklärte er jedoch auch, dass „der Christusglaube sich von dem Anspruch und den Folgen der Auschliesslichkeit befreit“38. Jaspers stellte die Bibel und die biblische Religion als ein Grundmerkmal dar, zu dem der Anspruch der Exklusivität als solcher nicht gehört. Die biblische Religion als solche hat keinen Abschluss. Der Anspruch auf Ausschließlichkeit ist ein menschliches Produkt, das nicht auf Gott verweist39. „Die Bibel ist das Depositum eines Jahrtausends menschlicher Grenzerfahrungen. Aus diesen wurde der Geist des Menschen hell, dass er Gottes und damit erst seiner selbst gewiss wurde. Das gibt die einzige Atmosphäre der Bibel. In der Bibel sieht man den Menschen in den Grundweisen seines Scheitems. Aber so, dass die Seins­erfahrung und die Verwirklichung gerade im Scheitern offenbar werden“.40 In Die Frage der Entmythologisierung (1954) setzte sich Jaspers in Auseinan­dersetzung mit Rudolf Bultmann für die Notwendigkeit des Mythos ein41 und plädierte als Philosoph für die Bewahrung der Reinheit der antiken mythi­schen Sprache in ihrer Bildhaftigkeit und Kraft42. „Wie dürftig und spracharm unser Dasein, wenn mythische Sprache nicht in ihm gilt! und wie unwahr, wenn die unumgängliche mythische Denkweise mit albernen Inhal­ten erfüllt wird. Die Herrlichkeit und das Wunder der mythischen Anschauung muß 36 Vgl. Jaspers, Die philosophische Glaube, 72-73, und Jaspers, K., Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, 87-92. 37 Vgl. Jaspers, K., Die philosophische Glaube, 61. 38 Ibid. 74. 39 Vgl. Ibid. 74. 40 Ibid. 79. 41 Vgl. Olson, A. M., Transcendence and Hermeneutics, 146-156. 42 Vgl. Jaspers, K. - Bultmann, R., Die Frage der Entmythologisierung, München 1954. 18.

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