Folia Theologica et Canonica 3. 25/17 (2014)

SACRA THEOLOGIA - Imre Kocsis, Der Einfluss von Dan 7 auf die Johannes-Offenbarung

34 IMRE KOCSIS nung Gottes selbst. Er spricht nicht in seinem Namen, sondern im Namen sei­nes Mandanten.15 In der Schilderung des Menschensohngleichen findet sich ein ganz einzigar­tiger Zug, der keine Parallele in Dan 7 hat: eine scharfe Sichel in der Hand. Dieses Motiv stammt aus Joël 4,13. Der Einfluss dieses prophetischen Textes zeigt sich auch in der Aufforderung des Engels in V. 15: „Sende deine Sichel und ernte; denn die Zeit der Ernte ist da, weil die Ernte der Welt reif geworden ist.” Von einem Zitat kann man nicht sprechen, aber der Inhalt ist der gleiche wie in Joël 4,13: „Schwingt die Sichel; denn die Ernte ist reif. Kommt tretet die Kelter; denn sie ist voll, die Tröge fließen über. Denn ihre Bosheit ist groß.” Überdies stehen auch die folgenden Verse des 14. Kapitels der Offenbarung unter dem Einfluss des besagten Prophetenspruches. In 14,17-20 hält ein Engel eine scharfe Sichel in der Hand, um sie auf die Erde zu werfen und „die Trau­ben des Weinstocks der Erde” zu ernten. Im Prophetenspruch sind die Getrei­deernte und die Traubenlese miteinander auf engste verbunden, denn beide be­zeichnen das Gericht über die Gottlosen. Daraus könnte man schließen, dass Offb 14,14-20 auf ähnliche Weise zu interpretieren ist: Sowohl die Getreide­ernte durch den Menschensohngleichen als auch die Weinlese durch einen En­gel beziehen sich auf das Strafgericht.16 Jedoch darf es nicht übersehen werden, dass der Verfasser der Offenbarung den prophetischen Text offensichtlich neu interpretiert hat. In Joël 4,13 werden Getreideschnitt und Traubenlese von den­selben Personen ausgeführt. In Offb 14,14-20 dagegen sind die Aufgaben auf­geteilt: der Menschensohngleiche mäht und der Engel liest. Wegen V. 19 („Der Engel... warf die Trauben in die große Kelter des Zornes Gottes”) besteht kein Zweifel darüber, dass die Weinlese das Strafgericht symbolisiert. Die Getreide­ernte dürfte hingegen die Sammlung der Gerechten bezeichnen. Im griechischen Text von V. 15 findet sich das Verb GeptÇcû (das Getreide ernten),17 aus dem das Substantiv Geptcpôç stammt. Letzteres Wort bezeichnet in den Evangelien im­mer die eschatologische Sammlung der Erwählten (Mk 4,29; Mt 9,37f; 13,30; Lk 10,2; Jn 4,35). Man kann sogar auch auf die synoptische Apokalypse hin- weisen, in der das Kommen des Menschensohnes eine radikale Scheidung zur Folge hat: Die Gerechten werden durch die Engel versammelt und von den Übeltätern völlig getrennt (Mk 13,26f; Mt 24,30f). Meines Erachtens können 15 H. Lichtenberger weist darauf hin, dass in IThess 4,16 der Beginn der Endereignisse durch den Ruf des Erzengels eingeleitet wird. Lichtenberger, H., Die Apokalypse (ThKNT 23), Stuttgart 2014. 205. 16 Diese Deutung vertreten Müller, U. B., Die Offenbarung des Johannes, 270. Giesen, H., Die Offenbarung des Johannes, 337. Söding, Th., Gott und das Lamm., 98 (Anmerkung 42). Lich­tenberger, H., Die Apokalypse, 205. 17 Für die Weinlese steht das Verb Tpvyáco.

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