Folia Theologica et Canonica 2. 24/16 (2013)
SACRA THEOLOGIA - Attila Puskás, Traditionsauslegung am Konzil von Trient
90 ATTILA PUSKAS lesen, wie die Kindertaufe oder die Praxis der Messe mit dem Gebetsanliegen für die Verstorbenen.33 Es tut sich also die Frage auf, was das Konzil vom Verhältnis der heiligen kanonischen Schriften und der apostolischen Traditionen hält. Sieht es in beiden selbständige Quellen des katholischen Glaubens, die sich inhaltlich ergänzen (bzw. die Traditionen etwas zu den Glaubenswahrheiten der Schrift zugeben), oder beinhalten sie genau dasselbe bezüglich des Glaubens und der Lebensregel nur eben in verschiedenen Formen, der unterschiedlichen Natur des Schriftlichen und Mündlichen entsprechend? Festzuhalten ist vor allem, dass das Konzil nicht das Ziel vorhatte, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, noch weniger sie zu entscheiden. Aus den Dokumenten geht klar hervor, dass ein Großteil der Konzilsväter die apostolischen Traditionen als inhaltliche Ergänzung der Glaubenswahrheiten der kanonischen Schriften betrachtete. Ihrer Meinung nach gibt es Wahrheiten in Bezug des Glaubens und der Praxis, welche für uns allein die Traditionen zur Erkenntnisquelle haben. Darauf verweist unter anderem die wiederkehrende Wortwahl „partim-partim” (teils- teils) der Wortmeldungen vom päpstlichen Legat Del Monte und dem Kardinal Cervini. Wie es Del Monte formuliert hat, „entstammt unser ganzer Glaube der göttlichen Offenbamng; welche uns die Kirche vermittelte teils (partim) durch die Schriften des Alten und Neuen Testaments und teils (partim) der einfachen Überlieferung von Hand zu Hand.“34 Ähnlich auch Bischof Cervini: „Er (Jesus) pflanzte sein Evangelium nicht schriftlich, sondern mündlich, nicht auf Papier, sondern ins Herz, wie es die Propheten einst voraussagten - das nennen wir nun aber Neues Testament. Was Christus gesagt und getan hatte, wurde teils aufgezeichnet, teils im Herzen der Menschen aufgenommen.“35 Sicher ist, dass auch die ausschlaggebenden katholischen Theologen (Melchior Cano, Petrus Cani- sius, Robert Bellarmin) nach Trient sich zum Verhältnis inhaltlicher Ergänzung der Schrift und der apostolischen Traditionen bekannt haben. Gleichzeitig meldeten sich am Konzil Theologen zu Wort, welche meinten, dass die Schrift genügend sei und die Traditionen auch demgemäß interpretierten (Bonuccio, Nachianti, Lunello, Lejay, Seripando). Bezüglich der Interpretation des Dekrets Sacrosancta kamen im 20. Jahrhundert neue Aspekte hinzu. H. Lennerz verteidigte in den theologischen Diskussionen den üblichen kontroverstheologischen und neuscholastischen 33 „Propter hanc enim regulám fidei ex traditione apostolorum etiam parvuli (...)”. Decretum super peccato originali, can. 4. (session V, 17.6.1546), in COD III. 666, 35. „(...) sed et pro defunctis in Christo, nondum ad plenum purgatis, rite iuxta apostolorum traditionem offertur”. Doctrina et canones de sanctissimo missae sacrificio, cap. 2 (session pt.22, 17.9.1662), in COD III. 734, 5. 34 CTA I, 30. Zit. in: Tavard, G-H., Écriture ou Église? La crise de la Réforme, Paris 1963. 287. 35 CTA I, 484^185. Einer anderen ähnlichen Formulierung Cervinis nach ist das zweite der drei Prinzipien und Fundamente „das Evangelium, das Christus nicht auf .Pergament“, sondern ,in die Herzen“ eingepflanzt hatte, was die Evangelisten später teils aufzeichneten, während vieles dem Herzen der Gläubigen überlassen blieb.” CTA V,11.