Folia Theologica et Canonica 2. 24/16 (2013)
SACRA THEOLOGIA - Zoltán Rokay, Die „Religionsphilosophie” Johann-Gottlieb Fichtes. Ihre Hintergründe und ihre Aktualität
124 ZOLTÁN ROKAY die man erst zu lesen bittet, ehe man confiscirt”. (Ähnlich wie Erasmus von Rotterdam im Kolofon seines „De libero arbitrio”: „Primum legito, deinde iudicato”). Darin identißziert Fichte schlechtweg Moralität und Religion; „Moralität und Religion sind absolut Eins”.103 - Die Welt resultiert aus unseren Pflichten (ganz im Sinne der Wissenschaftslehre nova methodo und der gedruckten Schriften jener Ebene): „Unsere Welt ist das versinnlichte Material unserer Pflicht; dies ist das eigentlich Reelle in den Dingen, der wahre Grund aller Erscheinung (...) Du glaubst nicht an Gott, weil du an die Welt glaubst, du erblickst vielmehr eine Welt, lediglich darum, weil du an Gott zu glauben bestimmt bist.”104 Nun kommt Fichte dazu, wie er die Substanz versteht: „Ich sage (...), dass der Begriff von Gott als einer besonderen Substanz, ein unmöglicher und widersprechender sei. (Substanz nämlich bedeutet notwendig ein im Raum und der Zeit sinnlich existierendes Wesen, aus Gründen, deren Anführung ich hier umgehen kann; er ist für meinen gegenwärtigen Zweck genug, dass ich meinen philosophischen Sprachgebrauch erkläre).”105 Wenn das Ich die einzige Substanz der Wissenschaftslehre ist, soll es bedeuten, dass es auch räumlich und zeitlich ableitbar ist? Wenn man unter Substanz das versteht, was er hier sagt, dann ist da entweder ein Widerspruch zu registrieren, oder es stimmt nicht, was man Fichte gewöhnlich unterschiebt, dass er Gott mit dem „vergänglichen Ich” identißziert hat. Allerdings ist ein Gott, der in Raum und Zeit existiert für Fichte, der keine Analogie zugibt, und von dem Wirken Gottes in der Heilsgeschichte höchstens mythologisch wissen will „ein Götze”.106 - Die Gegner Fichtes sind nicht im Stande sich zu seinem Gottesbegriff zu erheben, und können ihm deshalb auch nicht leugnen. In dem Sinne sind sie keine Atheisten. - Aber sie sind ohne Gott. In dem Sinne sind sie es.107 Die Annahme Gottes, als eines sinnlichen Wesens, geht aus dem Eudäumo- nismus aus, der wesentlich Dogmatismus ist. Dogmatismus aber bedeutet bei Fichte Materialismus. Statt dessen plädiert er für einen dynamischen Gottesbegriff, für eine „Weltordnung” (moralische) im Sinne von „Ordo ordinans”, oder ich füge hinzu: „Natura naturans" im Sinne von Spinoza, dem aber Fichte Dogmatismus vorwirft.10S Diese Auffassung ist gar nicht entfernt von dem Standpunkt eines theologischen Denkens, welches in Gott in dem Masse die Dynamik erblickt, dass >03 GA. I, 5. 428. 104 Fichtes Werke in 6 Bänden, III. 171 f. 105 Ebd. 176. 106 Ebd. 180. 107 Vgl. ebd. >o* Ebd. 176, 245f.