Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)
SACRA THEOLOGIA - Géza Kuminetz, Die Tugend des Gehorsams als Grundlage des klerischen das Heißt des kanonischen Gehorsams
26 GÉZA KUMINETZ lieh auf diese Weise scheint er unserer daseinsmäßige Entfaltung nicht zu drohen. Nur so wird er kein Hindernis für die Freiheit sein. Der heilige Bernhard von Clairvaux beschreibt die gehorsame Gesinnung mit einer unüberholbarer Schönheit: „Der bereitwillige und gehorsame Mensch kennt keine Verzögerung, es schaudert ihm nicht vom Morgen, er kennt keine Verzögerung, er lauscht dem Befehl ab, seine Augen sind immer aufmerksam, die Ohren immer geöffnet, sein Zunge ist fertig zum Reden, seine Hände sind zum Handeln und die Beine zum Laufe bereit. Er ist immer zusammengenommen, um den Willen von dem sofort zu fassen, der die Befehle erteilt.“17 Der Gehorsam ist also die Art und Weise, damit unser Verstand, Herz und unsere Kraft dem Befehlenden ähneln kann, der letzen Endes kein anderer ist, als der uns schaffende und erlösende Gott. Das ist das vorzüglichste Opfer vor Gott, die gehorsame Seele, und die Fracht des Gehorsams ist Frieden, der Frieden, der Christus seinen getreuen Jüngern gibt.18 Christus selbst gab davon ein Beispiel, weil er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze, und der aus dem Leiden Gehorsam lernte. Falls der Gehorsam so verstanden und gelebt wird, macht er uns nicht knechtseelerisch, sondern führt in unsere Würde herein, er macht frei, denn er verbindet uns mit der Wahrheit und der Liebe. Der Gehorsam setzt also voraus, dass diejenigen, die befehlen und gehorchen, aus einem bestimmten Gesichtspunkt heraus nicht gleich sind.19 Wer befiehlt, geht aus irgendeinem Grunde dem voraus, dem er befiehlt. So die Eltern, der Lehrer, der Wissenschaftler, der Künstler, der Leiter an der Arbeitsstelle, der Offizier, der Richter, der Staatsmann oder der Priester schreibt etwas nicht ohne jeden Grand voraus. Er befiehlt so etwas, was er schon besitzt, im Gegensatz zu seinem Erzogenen, der diese Fähigkeiten erwerben soll. Mit dieser Vorschrift oder Disziplinordnung hat er etwas vor. Er erzieht, bringt die Wahrheit bei, bestraft, regiert und sichert die Herstellung der notwendigen Güter. Der 17 Vgl. Tanquerey, A., A tökéletes élet. Aszkétika és misztika [Das vollkommene Leben. Asketik und Mystik], Paris-Tournai-Roma 1932. II. 681. 18 Der Gehorsam ist übrigens das dauernhafteste Opfer, denn die heilige Kommunion ist eine Vereinigung bloss von einigen Sekunden mit Gott; der ausdauerde Gehorsam schafft jedoch eine fortwährende seelische Vereinigung zwischen unserer Seele und Gott, und zwar so, dass wir in Gott wohnen, wie auch Er in uns wohnt. Denn wir wollen nur das, was Er will, und darüber hinaus wollen wir nichts: unum velle, unum nolle; eins ist unser Wollen und eins unser Nicht-wollen. Diese Vereinigung ist die wahrhaftigste, innigste und praktischste unter allen anderen“. Vgl. Tanquerey, A., A tökéletes élet. Aszkétika és misztika, II. 683. 19 In der Tugend des Gehorams können sich die Schwerpunkte verändern, wie das uns durch die Geschichte gezeigt wird. Nach der Auffassung der Römer wurde die Autorität des Gebieters hochgeschätzt, die germanische Auffassung betonte dagegen die Treue des Gehorchenden. Vgl. SzunyOGH, F. X., Szent Benedek világnézete [Die Weltanschauung von Benedikt von Nursia], in Religio 88 (1929) 25. In der christlichen Auffassung finden wir die gesunde Mischung von beiden, die mit gleicher Intensität, jedoch vom verschiedenen Gesichtspunkt aus sowohl das Ansehen des Gebieters als auch die Treue zur untergebenen Autorität für wichtig hält.