Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)
IUS CANONICUM - Stephan Haering OSB, Das Verfahren zur Entlassung aus einem Ordensverband
208 STEPHAN HAERING, OSB dass letztlich der höchste Obere - nachdem der höhere Obere die Entlassung vorbereitet hat - entscheidet, dass im konkreten Fall nicht die Entlassung, sondern andere Maßnahmen die zu ergreifenden Mittel seien. Der höhere Obere hat nur wenige Verfahrensschritte zu setzen. Seine Aufgabe ist, die Beweise sowohl im Hinblick auf den Sachverhalt als auch auf die Zurechenbarkeit zu sammeln, dem Mitglied die Anklage und die Beweise zur Kenntnis zu bringen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Dann werden die Akten dem höchsten Oberen übersandt. Die dem höchsten Oberen vorgelegten Akten müssen auch eine schriftliche Stellungnahme des beschuldigten Mitglieds enthalten. Im zweiten Fall, also bei einer fakultativen Entlassung, muss der höhere Obere zuerst seinen Rat hören, bevor er ein Entlassungsverfahren eröffnet. Wenn er sich nach der Anhörung für die Eröffnung eines Entlassungsprozesses entscheidet, hat er, sofern es noch nicht geschehen ist, die Beweiserhebung durchzuführen und eine förmliche Verwarnung des Mitglieds vorzunehmen. Dies vollzieht sich in folgender Weise: Das Mitglied wird schriftlich oder vor zwei Zeugen vom Oberen unter Hinweis auf die mögliche Entlassung und auf den Entlassungsgrund verwarnt; der Betroffene muss die Möglichkeit erhalten, sich zu verteidigen. Bleibt die Verwarnung erfolglos, ist nach frühestens 15 Tagen eine weitere Verwarnung vorzunehmen. Wenn auch diese zweite und gegebenenfalls noch weitere Verwarnungen erfolglos bleiben und das Ungenügen der Verteidigung und die Unverbesserlichkeit des Betroffenen feststehen, dann kann der höhere Obere frühestens 15 Tage nach der letzten (erfolglosen) Verwarnung die Akten einschließlich der schriftlichen Stellungnahmen des Betroffenen an den obersten Leiter übersenden. Handelt es sich bei der betroffenen Gemeinschaft aber um ein rechtlich selbständiges Kloster gemäß c. 615 CIC, d. h. um ein Haus, das außer dem eigenen Oberen keinen weiteren, übergeordneten Oberen mit Leitungsautorität besitzt, sind die Akten dem Diözesanbischof zu übermitteln. Auf der Ebene des supremus moderator oder des Diözesan- bischofs wird dann über die Ausstellung des Entlassungsdekrets entschieden. Man kann also festhalten, dass auf der Ebene des höheren Oberen die Beweiserhebung und eine wenigstens zweimalige Verwarnung erfolgen. Frühestens dreißig Tage nach der ersten förmlichen Verwarnung kann das Verfahren auf die nächste Ebene gehoben werden. Dem betroffenen Mitglied bleibt also ein angemessener Zeitraum, um in sich zu gehen, seinem ordenswidrigen Verhalten abzusagen und seine bisherige sanktionswürdige Haltung zu ändern. Wann die erste Verwarnung ausgesprochen wird, bleibt dem klugen Ermessen des Oberen überlassen. Allerdings kann eine Verwarnung bei einem Mitglied, dessen Verhalten zwar suspekt sein mag, dem aber ein entlassungswürdiges Verhalten noch nicht nachgewiesen werden konnte, nicht prophylaktisch ausgesprochen werden, um dann, wenn man die erforderlichen Beweise hat, umso rascher zur Entlassung schreiten zu können. Vorstellbar aber ist durchaus, dass