Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)

SACRA THEOLOGIA - Zoltán Rokay, Leo Scheffczyk und die Tübinger Schule

LEO SCHEFFCZYK UND DIE TÜBINGER SCHULE 101 Möhler war ja schon immer an der „Einheit“ interessiert. Er hat nämlich die Gefahr erkannt, welche die Überbetonung der idealen Vernunftanschauung und der spekulativen Konstruktion für die Positivität und Objektivität des Kirchli­chen bedeutete. Darum unterschied er streng zwischen dem konstruktiv-speku­lativen Moment des Kirchenbegriffs, das er als individuell und subjektiv bet­rachtete und den theologischen Schulen anheimstellte, und dem objektiven und beharrenden Moment, das er in der Geschichte aufwies. Die Idee der Kirche und ihrer Geschichte wurde ihm damit zu einer Grösse, die nicht in der innerlichen idealen Anschauung gefunden werden konnte, die vielmehr aus der Geschichte als dem Allgemeinen und Objektiven hervortreten musste.14 Die Erschliessung des Wesens der Kirche aus ihrer Geschichte ist für Scheffczyk grundlegend. Er scheint gerade diese „Wende“ bei Möhler und der Tübinger in allgemeinen für den wesentlichen Ertrag ihrer Bemühungen zu betrachten, und auch für sein Grundanliegen fruchtbar zu machen. Möhler wollte nicht, dass dabei die rein philosophische Konstruktion des Glaubens zu kurz komme. Sie weist aber „nicht der Dogmatik zu, die ihm als rein positive Wissenschaft zur Erhebung der Glaubenswahrheit aus der Offenbarung und zur begriffischen Entwicklung vorstellbar ist, sondern der Apologetik.“34 35 36 Wieder geht es um das Ganze, was Scheffczyk als Wesensmerkmal und Be­deutung des Wortes „Katholisch“ ständig betont, und bei den Tübingern, bei Möhler voran „wiedererkennt“: „Damit hat Möhler die für die Tübinger Schule in allen Phasen wesentliche Verbindung von Empirie und Idee nicht aufgege- ben, aber die Idee strenger als eine in der Geschichte wirkende und aus ihr her­vortretende Kraft verstanden. In der , Kirchengeschichte‘ ist ihm diese Kraft die Einheit, die er als dynamisches Prinzip fasst und mit dem Gottesgeist identifi­ziert. Charakter und Grad ihrer Verwirklichung ergeben eine dialektische Glie­derung dieser Geschichte in die Epochen der sich bildenden, der bestehenden, der vergehenden und der sich wieder konsolidierenden Einheit, eine Einteilung, hinter der der Einfluss der Hegelschen Dialektik sichtbar wird. Eine für Möh­lers theologische Entwicklung charakteristische Abklärung erfährt dieser Ge­danke - wiederum in Absetzung von J. S. v. Drey - durch die Einbeziehung der Kraft und Bedeutung des Menschlichen in das Prinzip der Geschichte. Während Drey und der junge Möhler der ,Einheit1 nur im Göttlichen das Prinzip der Ge­schichte anerkannten, was eine theozentrische Grundauffassung der Geschichte 34 Scheffczyk, L. (Hrsg.), Theologie in Aufbruch und Widerstreit, XV f; ebd. XVII. 35 Heidegger plädierte dafür, dass die Theologie eine positive Wissenschaft sei: vgl. Phänomeno­logie und Theologie, 1927 vorgetragen. Ausgabe: Martin Heidegger, Gesamtausgabe Band IX. 45-78. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1996. Heidegger hat später seinen Stand­punkt modifiziert. In dem Sinne ist Theologie als Denken der Offenbarung zu betrachten, ana­log wie die Phänomenologie ein Denken des Seins ist. 36 Scheffczyk, L. (Hrsg.), Theologie in Aufbruch und Widerstreit, XVIII.

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