Folia Canonica 6. (2003)
STUDIES - Helmuth Pree: Die politische und gewerkschaftliche Betätigung geistlicher Personen im CIC (1983) und im CCEO (1990)
DIE POLITISCHE UND GEWERKSCHAFTLICHE BETÄTIGUNG 9 In diesem Sinne soll im folgenden rechtsdogmatisch9 der Frage nachgegangen werden, in welchem Umfang der CIO 1983 und der CCEO (1990) politische Aktivitäten (in einem weiten Sinn verstanden auch Bürgerinitiativen, Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen und Demonstrationen einschließend) und gewerkschaftliches Engagement bei Klerikern und Mitgliedern von Instituta Vitae Consecratae (Religioseninstitute und Säkularinstitute) und Societates Vitae Apostolicae verbieten bzw. zulassen. Um die ratio und den Anwendungsbereich der einschlägigen Normen (III. 3 und 4) möglichst genau abgrenzen zu können, muss deren sachlicher Regelungskontext miteinbezogen werden: Die kirchenrechtliche Verankerung der politischen Dimension des Heilsauftrages der Kirche insbesondere im Bereich des Lehramtes und des Verkündigungsdienstes (II.) und die kirchenrechtliche Rechtsstellung der Kleriker und Ordenspersonen in der zivilen Rechtssphäre aus der Sicht des kanonischen Rechts (III. 1). In dem abschließenden „Ausblick” wird auf partikulare Regelungen hingewiesen. Schon vorab sei festgehalten, dass die hier im Zentrum des Interesses stehenden Bestimmungen betreffend die Inhaberschaft öffentlicher Ämter mit Teilha- 9 Umständen der jeweiligen Situation, z. B. ob bereits ein Gesetzesantrag vorliegt oder ob lediglich eine politische Einzelmeinung geäußert wurde. 9 Rechtshistorische Hinweise müssen sich aus Raumgründen auf ein äußerstes Minimum beschränken: Gratian stellt in dem berühmten dictum über die duo genera Christianorum einander gegenüber: Die clerici et Deo devoti einerseits, laid andererseits. Während es diesen erlaubt ist zeitliche Güter zu besitzen „uxorem ducere, terram colere, inter virum et virum iudi- care, causas agere...”, ist das Genus der Kleriker „mancipatum divino officio, et deditum contemplationi, et orationi, ab omni strepitu temporalium cessare convenitC 12,1,7. Vgl. auch D 86,26; D 88,1.4.8; C 21,3,1-4.6; C 23,8,29.30; X 1,37,1-3; X 3,50,1.2.4.5.8.9.; VI 3,24,3. Gemeinsam ist diesen und weiteren Quellen, dass das Verbot, sich in weltliche Geschäfte einzumischen, für Kleriker und Ordenspersonen in gleicher Weise galt. Zur jüngsten Geschichte in Bayern vgl. den gründlich erarbeiteten Beitrag von D. Grypa, Zur innerkirchlichen Diskussion um die politische Betätigung katholischer Geistlicher in Bayern nach dem 2. Weltkrieg, inH. Flachenecker-K. W. Littger (Hg.), Beiträge zur Eichstätter Geschichte (B. Appel-FS), Eichstätt 1999, 531-576; für Österreich vgl. die einführende, überblicksartige Darstellung von G. Hartmann, Priester und Politik in Österreich als Thema der kirchlichen Zeitgeschichte, inM. LIEBMANN-D. A. BINDER (Hg.), Hans Sasmann zum 60. Geburtstag, Graz-Wien-Köln 1984, 99-106. Beachtung verdient die Konstitution Alexanders VII. „Sacrosancti” vom 18.1.1658 (CIC Fontes 1,450—452, Nr. 235 §2, VIII), die zur Abstellung von Missbräuchen im Missionsgebiet von Goa ergangen ist, und die vom nachfolgenden Papst Clemens IX. durch die Konstitution ,Jn excelsa” vom 13.9.1669 (CIC Fontes 1,468 f.) bekräftigt und auf das gesamte ostindische Missionsgebiet ausgeweitet worden war. In der erstgenannten Quelle heißt es: „Caveant itidem Parochi seculares, et regulares ullo modo sese ingerere in rebus spectantibus ad politiam secularem, nec ullum ad officia publica proponant, quamvis aptior caeteris videatur, nec unquam intersint comitiis, aut conventibus, ubi de rebus publicis agitur.” Weitere Quellen zu c. 139 §§ 2-4 C/C/1917 werden in der von P. Card. Gasparri herausgegebenen, mit Quellenangaben versehenen CIC-Edition (Romae 1934) angeführt.