Folia Canonica 3. (2000)
STUDIES - Peter Landau: Die Canones Apostolorum im Abendländischen Kirchenrecht, insbesondere bei Gratian
32 PETER LANDAU Zahl 50 hinaus wie Trompeten des Heiligen Geistes akzeptiere,24 eine besonders forciert wirkende Anstrengung, alle Authentizitätszweifel zu überwinden. Der Hinweis auf eine Zahl von mehr als 50 Apostelkanones lässt vielleicht den Schluss zu, dass dem Anastasius die Ziffer bei Pseudoisidor und damit das große Fälschungswerk bekannt war. Die unterschiedliche Einschätzung der Apostelkanones seit Dionysius Exiguus und dem Decretum Gelasianum spiegelt sich nun auch bei Gratian. Er geht auf diese Frage in der Distinctio 16 ein und eröffnet seine Darlegungen mit dem Satz, dass nach Meinung einiger - ‘sicut quidam asserunt’ - die Apostelkanones von Papst Clemens selbst ins Lateinische übersetzt worden seien.25 Diese Hypothese von Papst Clemens I. als eigentlichem Übersetzer, die natürlich die Überzeugung von der apostolischen Authentizität der Kanones stützen mußte, taucht bereits gelegentlich in frühmittelalterlichen Kanonessammlungen auf, indem das dionysianische ‘prolatae per Clementem’ in ‘per Clementem translatae’ verändert wurde.26 Gratian könnte die Legende von Clemens I. als Übersetzer der Apostelkanones aus der umfangreichen Vorrede des Deusdedit zu seiner Kanonessammlung bezogen haben, da dieser Sammler sich besonders ausführlich mit der Authentizität der Apostelkanones auseinandersetzt.27 Gratian war sowohl die auf das Decretum Gelasianum rückführbare negative als auch die pseudoisidorische positive Bewertung der Apostelkanones bekannt. Das Decretum Gelasianum wurde in das Gratianische Dekret zunächst allerdings nur auszugsweise aufgenommen; der Satz über die Canones apostolorum im Bücherdekret gelangte erst später als Teil einer Palea in Gratians Werk.28 24 Kritische Edition bei E. Perels-G. Laehr (eds.), MGH. Epp.VII, Berlin 1928, ND München 1978,395-442, hier415-418m.p. 416 f. Hierzu cf. die Ausführungen im Appendix zu diesem Aufsatz. 25 D. 16. Diet, ante c. 1 : “Apostolorum canones, qui per Clementem Romanum Pontificem, sicut quidam asserunt, dicuntur esse translati, sunt quinquaginta”. 26 So in der Collectio Parisiensis (MS Paris Bibl.nat.3858 C) - cf. Maassen, Geschichte (Anm. 11), 542: “per Clementem Romanae urbis episcopum in Latinam linguam translata.” In MS Paris 2400 der Collectio Herovalliana wird davon ausgegangen, dass Clemens bereits eine lateinische Fassung der Kanones erstellt habe, nach deren Verlust in Rom dann Dionysius nochmals übersetzt habe. Cf. Maassen, Geschichte (Anm. 11), 410: “Incipiunt canones apostolorum, quos scripsit tam in Graeco quam in Latino beatus clemens papa et mártír, discipulus sancti Petri, et postea, dum apud Romanos per incuriam et persecutiones ecclesiae deperditi fuissent, Dionisius transtulit de Greco jubente Stephano episcopo Romae.” 27 V. WOLF VON Glanvell (ed.) Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, Paderborn 1905, ND Aalen 1967, 4: “Set et de auctoritate canonum apostolorum, qui per Clementem Romanum pontificem de greco in latinum translati dicuntur.” Allerdings scheint Gratian diese Kanonessammlung bei der Kompilation seiner Texte nicht berücksichtigt zu haben. 28 D.15, C.3, § 64. Der Text §§ 17-82 ist Palea . Cf. R. Weigand, Versuch einer neuen, differenzierten Liste der Paleae und Dubletten im Dekret Gratians, in Studia Gratiana 29 (=Historical Studies in Honour of Antonio Garcia y Garcia II, Roma 1998), 883-899, hier