Folia Canonica 3. (2000)

STUDIES - Peter Landau: Die Canones Apostolorum im Abendländischen Kirchenrecht, insbesondere bei Gratian

30 PETER LANDAU Dionysius verhielt sich demnach gegenüber den Apostelkanones zwiespäl­tig: zum einen sicherte er durch seine Übersetzung ihre Verbreitung im We­sten,15 zum anderen tendierte er dahin, sie nur als regionales Kirchenrecht des Ostens zu betrachten. In der Übersetzung des Dionysius Exiguus fanden die Apostelkanones dann in zahlreichen italienischen und gallischen Kano- nessammlungen des frühen Mittelalters Verbreitung, so z.B. in der aus dem ersten Viertel des 6. Jahrhunderts stammenden italienischen Sammlung der sog. ‘Vatikanischen Handschrift’ (Collectio Vaticana),16 aber auch noch in der mainfränkischen Collectio Wirceburgensis, die im ersten Drittel des 9. Jahrhun­derts zusammengestellt wurde.17 Hatte bereits Dionysius Exiguus die Autorität der Canones apostolorum bezweifelt, und außerdem durch die Formulierung ‘qui dicuntur apostolorum’ Bedenken gegenüber dem apostolischen Ursprung dieser Normen angedeutet, so wurde der apokryphe Charakter der Kanones eindeutig im pseudo - gelasia- nischen Bücherdekret ‘De recipiendis libris’ vom Anfang des ó.Jahrhunderts behauptet, wo es lapidar heißt: “Liber qui appellatur Canones apostolorum, apokryphus ‘18. Dieses Verdikt wurde etwa ein Jahrhundert später in der Vorrede zur Collectio Hispana, der großen spanischen Kanonessammlung, näher begründet, da die Apostelkanones hier als ein Fabrikat von Häretikern bezeichnet werden, das weder vom Papst noch bei den Kirchenvätern anerkannt worden sei, sondern keine kanonische und apostolische Autorität besässe und deshalb als apokryph zu klassifizieren sei. Der Verfasser dieser Vorrede gibt allerdings andererseits zu, daß man einiges Nützliche in den Apostelkanones finden könne.19 Aus der Einstufung der Kanones als apokryph ergibt sich für ihn, dass er sie in seine 15 Cf. die Liste der Kanonessammlungen vor 850, welche die Kanones von Dionysius übernommen haben, bei Maassen, Geschichte (Anm. 11), 409. 16 Cf. die Analyse der Collectio Vaticana bei Maassen, Geschichte (Anm. 11), 512-526 - hier zu den Canones apostolorum p.514. 17 Cf. die Analyse bei Maassen, Geschichte (Anm. 11), 551-555, hier p.551. Zur Datierung der Collectio Wirceburgensis cf B. Bischoff—J. Hofmann, Libri Sancti Kyliani: Die Würzburger Schreibschule und die Dombibliothek im VIII. und IX. Jahrhundert (Quellen u. Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 6), Würzburg 1952, 50 und 121 f. 18 Cf E. V. DobschüTZ, Das Decretum Gelasianum de libris recipiendis et non recipiendis (Texte und Unters, z. Geschichte der altchristlichen Literatur 38.4), Leipzig 1912, 55 zur Überlieferung dort p.192. Der Text später auch bei Gratian D.64, c.3, § 64; hierzu Dob­schüTZ, op. cit., 192. 19 G. Martinez Diez-F. Rodriguez (eds.), La Colección Canonica Hispana III: Conci­lias Griegos y Africanos (Monumenta Hispaniae Sacra, Ser. Canonica, vol. III), Madrid 1982, 45 f : “Canones autem qui dicuntur apostolorum seu quia eosdem nec sedes apostolica recipit nec sancti patres illis consensum praebuerunt pro ea quod ab haereticis sub nomine aposto­lorum compositi dinoscuntur, quamvis in eis quaedam inveniantur utilia, auctoritate tamen canonica atque apostolica eorum gesta constant esse remota et inter apocripha deputata.”

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