Csaplár Ferenc szerk.: Lajos Kassák / Reklame und moderne Typografie (1999)

Das „schöne" und das „häßliche" Buch

DAS „SCHÖNE" UND DAS „HÄSSLICHE" BUCH Für eine, wenn auch nicht die hervorstechendste, jedenfalls aber sehr bezeichnende Manie der jungen Künstler hält man die Pflege des „schönen Buches". Gestrenge Partei­menschen hinwiederum, von denen die neuen künstleri­schen Bestrebungen vorbehaltlos als „dekadente Auswüch­se" der verfallenden Gesellschaft eingeschätzt werden, de­finieren diesen Kult als ein ebenfalls antisoziales Charakter­merkmal der neuen Kunst. Sie sind, nicht anders als die schlechten Geschäftsleute auf der anderen Seite, aus ihrem mechanisch auf einen Punkt gerichteten Blickwinkel, der Meinung, es sei nebensächlich, wie ein Buch herausgege­ben wird, es komme nur darauf an, was darin herausgege­ben wird, und wie große Massen es aufgrund seiner Wohl­feilheit erreichen kann. Denn für diejenigen, die um jeden Preis „Massenkultur" vertreiben, bleibt selbst ein auf Zei­tungspapier gedrucktes und mit entsetzlichen Drahtfäden durchschossenes Buch immer noch ein Buch, das heißt es verbleibt bei seiner einzigen Berufung, der Erziehung der Völker. Wir sehen also bei diesen Leuten, daß sie, wenn vom Buch als Gegenstand die Rede ist, nur seine notwen­dige Wohlfeilheit als Ware hervorheben und vergessen, daß etwas, um billig zu sein, noch nicht mit Bestimmtheit damit einhergehen muß, daß es auch antiästhetisch und antihygi­enisch sei. Sie vergessen, daß wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, und somit ein schlecht, ein „häßlich" ausgestattetes Buch nicht darum als ein selbst im Vergleich zu Strumpfhaltern und Tramfahrscheinen typischeres Dut­zendprodukt zusammengeklopft wird, damit die breiten Massen es so leichter erstehen können, sondern auch da­rum, weil der Verleger mit geringerem Kapital- und Zeitauf­wand zu schnellem Profit kommt. Das „schöne" Buch kann also nicht „antisozial" sein seiner Schönheit wegen, und ein „häßlich" aufgemachtes Buch ist nicht unbedingt ein sozia­les Phänomen für eine Epoche, und ebensowenig ist es ein substantieller Gradmesser für den Kulturhunger der Mas­sen. Wohl aber geht das häßliche Buch mit ethisch und äs­thetisch heruntergekommenen Zeiten unvermeidlich einher, das heißt es ist im Endeffekt ein antisoziales Phänomen so, wie der Bau von Massenwohnquartieren antisozial ist. Es ist wahr: auch in einem „häßlich" aufgemachten Buch kann al­lerseriöseste Literatur ohne rationale Einbuße gelesen wer­den, und es ist wahr, daß ein Mensch, der sonst keine Un­terkunft hat, sich von den Mühen des Tages auch in einem Massenquartier ausruhen kann; wir wissen jedoch, daß die Nachtruhe nicht bloß die Relaxation unserer Muskeln, son­dern auch neues Kräftesammeln bedeuten muß, und wir wissen, daß wir nicht nur, um unseren Verstandeskreis zu neuen Horizonten hin zu erweitern, lesen, sondern auch um uns unmittelbare Erlebnisse zu verschaffen, emotional rei­cher zu werden und uns zu sensibleren und willensstärkeren Menschen hochzuentwickeln. Nun hat aber das Massenquar­tier ebenso wie das „häßlich" aufgemachte Buch nicht nur eine lebenserhaltende und erzieherische, sondern auch ei­ne demoralisierende Auswirkung auf den Menschen. Das Buch tritt uns als äußere Form, als vermittelndes Gefäß ei­ner bestimmten Aussage, eines von bestimmten Erlebnis­sen und Willensakten geprägten „Themas" entgegen. Und wenn wir anerkennen, daß bestimmte Aussagen jeweils nur in bestimmten Genres (Gedicht, Drama, Erzählung usw.) ohne Einbuße erscheinen können, müssen wir auch aner­kennen, daß bestimmte Genres ihre Wirkung hundertpro­zentig jeweils nur in einer bestimmten Form, nur in einem ih­rem eigenen Charakter gemäßen Gefäß, das heißt Buch­gestalt erreichen können. Einfach gesagt: Ein Buch soll nicht aufgeputzt „schön" und nicht wohlfeil „häßlich" sein, sondern es muß in seinem Erscheinen, da es vor uns hin tritt, wie jegliches Ding, das wirken will, Charakter haben. Denn bei uns, Zeitungen instinktiv abgeneigten Menschen (und auf die breiten Massen trifft es noch mehr zu), kann sei­ne Wirkung nur das erreichen, was äußerlich und innerlich eine unauflösliche Einheit bildet. Und ein Buch, als vermit­telnde Form irgendeines literarischen Werkes, vermag seine Wirkung voll und ganz nur dann zu erreichen, wenn es in sei­nem äußeren Erscheinungsbild mit dem inneren Gehalt technisch-ästhetisch deckungsgleich ist und dessen Her­ausstellung befördert. Oder sollte es ein purer Zufall sein, daß die bisherigen Epochen, ja literarische Gruppen, Buchtypen zur möglichst kräftigen Hervorkehrung ihrer selbst geschaffen haben? Bekanntlich hat sich für wissenschaft­liche Werke im Lauf der Geschichte nahezu generell obliga­torisch ein gänzlich anderer Buchtypus entwickelt als etwa für die Belletristik; und wir wissen, wie unterschiedlich die Buchformen und Typografien in den Zeitaltern der Klassik, des Barocks oder des Biedermeiers waren. So wie jede Menschengruppe mit einer einigermaßen klaren oder noch klareren Weltanschauung im wirtschaftlichen und politischen Leben der Gesellschaft Spuren ihres gestalterischen Wil­lens hinterläßt, so formt sie auch die ererbten künstleri­schen Werte der Epoche neu, und dabei hat sie auch die ih­rer eigenen Zeit, ihren Ideen und Empfindungen gemäßen neuen Buchformen zu erschaffen. Charakteristisch ist jegliches Produkt eines Zeitalters. Unser Zeitalter ist eines des Übergangs; seinen bürgerli­chen Scharfblick hat der Mensch eingebüßt und sein sozia­les Gleichgewicht noch nicht gefunden. In der Politik, Wis­senschaft, Technik und Kunst führen wir gleichermaßen ein Augenblicksdasein. Die bisher für absolut genommenen Wahrheiten der Wissenschaft haben wir gestürzt, und die neuen Gesetze haben wir noch nicht aufgestellt. Wir haben keinerlei „Positivum" aufzuweisen, denn was wir heute vor­ausschauend denken, dessen Gegenteil akzeptieren wir morgen als ebenso natürlich und selbstverständlich. Und für nichts haben wir ein ausgearbeitetes Programm wie auch keine konsequente Taktik, und darum haben wir nichts sonst als unsere Anläufe zu waghalsigen Versuchen. Aber wir soll­ten zumindest darauf achten, daß wir in unseren Anläufen nicht verhängnisvoll einseitig vorgehen. Die Welt ist aus Mil­lionen von Einzelteilen zusammengefügt, und wer an die­sem knirschenden Gefüge etwas verbessern will, der muß seine Sache bis zum letzten verrichten - der Politiker in der Politik, der Techniker in der Technik und der Künstler in der Kunst. Die Übermittlungsform des Schriftstellers ist das Buch; er muß also, um sich selbst ohne Einbuße darbieten zu können, als Mittel auch das neue Buch erschaffen. Versuche dazu hat es auf dem heutigen ungarischen Markt bislang kaum gegeben. 7

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