Csaplár Ferenc szerk.: Lajos Kassák / Reklame und moderne Typografie (1999)

Die Straße und die Reklame

Doch sei gesagt: zu dieser vermittelnden Rolle ist nur ein gut gestaltetes Schaufenster fähig. Denn ebensooft ist es schon geschehen, daß jemand, der mit einer Kaufabsicht von daheim losgegangen ist, sich die Schaufenster der Lä­den ansieht, und seine Lust zu kaufen verfliegt regelrecht. Wenn man nach der psychologischen Ursache für diese zweite Eventualität sucht, findet man sie meistens in der Überfülle der in der Auslage untergebrachten Waren, oder in der „künstlerischen Dekorierung" des Schaufensters. In einer überladenen Auslage wird die Ware zum sogenannten „Schund"; Überdekoriertheit hingegen erweckt den An­schein, als wollte der Händler die Schwäche seiner Ware vor dem Blick des Publikums verbergen. Permanenter Argwohn gehört zur Psychologie des Kunden dazu, und so flieht er, ohne sich dessen bewußt zu werden, jedes Geschäft, bei dem er irgendwelche Tendenzen zur Verkuppelung wahr­nimmt. Gewiß ist diese übertriebene, instinktive Vorsicht des Kunden dem Erzeuger oder Verkäufer gegenüber nicht im­mer begründet. Es ist nicht wahrscheinlich, daß der Besitzer eines schlecht gestalteten Schaufensters den Kunden un­bedingt hereinlegen, austricksen oder ihm unberechtigt das Geld aus der Tasche ziehen will. Sicherlich ist es aber so, daß es sich um einen Geschäftsmann geringen Kalibers handelt, wenn er ein überladenes oder zu Tode dekoriertes Schaufenster vor seinem Laden dem Publikum hinschiebt. Solche Geschäfstleute kalkulieren nicht, besser gesagt: kal­kulieren falsch mit der Gefühls- und Gedankenwelt der Kun­den und sind mit der ästhetischen und stofflichen Bedeutung ihrer eigenen Ware nicht vertraut. Sie wissen nicht, daß die nebeneinander hingeknallten grellen Farben sich zu einer geschmacklosen Kunterbuntheit vermengen und die auf­und übereinander sich feilbietenden Waren beim Betrachter das Gefühl des Ausverkaufs wecken. Der Zweck der Ausla­ge ist nicht, darin sämtliche im Laden käuflichen Artikel zu repräsentieren. Ein gut positionierter Gegenstand hingegen, eine gut zusammengestellte Farbskalenqualität demonst­riert dem Betrachter Werte und versetzt ihn nahezu in Erre­gung, um den ausgestellten Gegenstand oder einen noch besseren in Besitz zu nehmen. Das gute Schaufenster pe­netriert das Empfinden des Kunden und eröffnet seiner Phantasie eine Perspektive, die nur im Laden befriedigt wer­den kann. Jeder gute Geschäftsmann sollte also darauf achten, daß er mit seinem Übereifer, mit der sinnlosen und unsyste­matischen Häufung und kitschigen Dekorierung der Waren die Kundschaft nicht abschrecke. Die zweckgerechte gute Auslage ist ästhetisch schlicht und in der Warenmenge öko­nomisch. Bei uns hat ein Großteil der Händler dies leider noch bei weitem nicht erkannt, und der sich dessen vielleicht schon bewußt ist, scheut sich in Anbetracht der Konkurrenz des Nachbarn, diese einfachen Gesetze anzuwenden. Eines un­serer großen Warenhäuser zum Beispiel gestaltete seine Schaufenster im ersten halben Jahr nach der Eröffnung mit wirklich klarem Geschmack, auf einem auch im fortgeschrit­tensten Ausland annehmbaren Niveau. Es war ein wohltu­ender Anblick und um so auffälliger, als ein solches Waren­haus bekanntlich mittelmäßige, sogenannte Massenware abzusetzen sucht. Gemessen an den Schaufenstern der üb­rigen Warenhäuser konnten es die Auslagen dieses Waren­hauses mit denen der Firmen in der City durchaus aufneh­men. In Budapest bot der Anblick dieses Warenhauses das Bild großer Warenhäuser in den Weltstädten. Die Direktion oder der Reklamechef des erwähnten Warenhauses dürften kaum die Überzeugung gewonnen haben, daß ihre elegant gestalteten Schaufenster dem Umsatz im Geschäft schäd­lich gewesen wären, und trotzdem sind diese Schaufenster kurze Zeit später völlig herabgekommen; anstatt einfacher Ausstellung der Waren hat man den zum Vorzeigen der Waren bestimmten Raum mit stilisierten Gemälden deko­riert und das ganze zu irgendwelchem miesem Kunstkitsch umgemodelt. Zusätzlich zu dem Fachmann für Schau­fensterdekoration wurde noch ein Kunstmaler eingestellt, und so hat sich dann das Schmuckstück des Warenhauses zu einer Panoramenkiste mit billiger Effekthascherei umge­wandelt. Aber wir reden ja nicht nur von diesem einen Beispiel, es könnten unzählige ähnliche Fälle genannt werden. Es gibt Auslagen, die Wüstenlandschaften, Palmenhaine oder mit ewigem Schnee bedecktes Bergland imitieren. Im Laden dahinter indes will der mit Kunstgeschmack und Übereifer begnadete Kaufmann Konditorware, Stoffe für Damenbeklei­dung, oder halt eben Zahnbürsten und Schnürsenkel ver­kaufen. Im Einstieg zu diesem Artikel sprach ich von der Ästhe­tik der Straße, und angelangt bin ich beim Kaufmann, der seine eigenen Interessen nicht recht begreift. Der Anfang und der Schluß des Artikels hängen aber lediglich scheinbar nicht eng miteinander zusammen. Die Unordentlichkeit des Budapester Straßenbilds ist auf dieselbe Mentalität, auf die Sorglosigkeit der Menschen zurückzuführen als der ver­nachlässigte Zustand, die Unordentlichkeit oder Überdeko­riertheit der Reklamesäulen und der Schaufenster. Auch dies­mal müssen wir, traurig zwar, aber dennoch feststellen, daß wir, was Initiativen betrifft, stets meilenweit im Nachtrab marschieren: hinter dem Ausland her, und unsere Resultate versinken im Grau stets, noch bevor sie hätten erstrahlen können. REKLÁMÉLET, 2. JG. NR. 5 (MAI 1929) S. 1-4 20

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