Csaplár Ferenc szerk.: Lajos Kassák / Reklame und moderne Typografie (1999)

Die Straße und die Reklame

DIE STRASSE UND DIE REKLAME Kommt man nach einem längeren Auslandsaufenthalt, sa­gen wir aus Berlin oder aus Wien, in Budapest an, ist es das äußere Bild der Stadt, das man zunächst aufmerksam zur Kenntnis nimmt. Man braucht gar nicht mit kritischem Auge Erkundungen anzustellen, der architektonische, ästhetische und hygienische Unterschied, der zwischen den genannten Städten und Budapest besteht, wird auch so schon in den ersten Augenblicken offenkundig. Budapests weltberühmt schöne Lage erschließt sich uns nur nachts, von irgendeiner der Donaubrücken, mit seinen panoramaartigen Besonder­heiten, ansonsten erscheint die ganze Stadt verschlissen, verworren und grau in grau. Die gar nicht einmal alten Bau­ten sind in ihrem äußeren Erscheinen ungepflegt oder auf neureiche Art herausgeputzt (allerdings auch in dieser ihrer Form ungepflegt), die Straßen sind immerzu aufgewühlt, sie machen auf den Betrachter den Eindruck unsachgemäßer und unregelmäßiger Instandhaltung, die Bürgersteige sind übersät mit Papierabfällen und Obstschalen, die Litfaßsäu­len sind nicht auffällig farbig, sondern ärmlich bunt, die Aus­lagen der Geschäfte sind überladen, schlecht bemessen und mischen sich mit ihrer Unordentlichkeit oder zu kompli­zierten Ausschmückung nachgerade zudringlich in die Emp­findungen der Passanten ein. Dieses äußere Bild der Stadt ist wahrscheinlich durch die Ungeordnetheit des inneren Lebens seiner Bewohner deter­miniert. Doch bleiben wir jetzt bei unserem Gegenstand. Zwei gewichtige Faktoren des ästhetischen Bildes städ­tischer Straßen sind die entlang der Bürgersteige aufgestell­ten Litfaßsäulen und die Auslagen der Geschäfte. Wir wer­den letztendlich zwar gezwungen sein, an diesen beiden be­deutenden Faktoren der Straße strenge Kritik zu üben, trotz­dem müssen wir auch konstatieren, daß die zehn bis fünf­zehn in moderner Auffassung und mit guter Drucktechnik hergestellten Plakate, die im letzten Jahr in die Straßen von Budapest gelangt sind, können es mit den gleichen Erzeug­nissen in Wien und Berlin getrost aufnehmen, ja wenn wir die Ausmaße der Industrie und des Handels in den drei Städten und dazu proportional die Ziffern der Plakaterzeu­gung betrachten, dann führt Budapest die Modernität und auch den zahlenmäßigen Anteil betreffend vor den beiden anderen Städten. Mit künstlerischer Kritik gemessen weisen diese Plakate im europäischen Plakatertrag unbedingt ein hohes Niveau auf, jedoch werden sie in den Budapester Straßen, das heißt durch dieses Milieu grau eingefärbt, in ihren Formkompositionen unterdrückt, und da nützt dann die individuelle Qualität des Künstlers nichts, sie erleiden Einbußen auch an propagativer Wirkung. Jedes Phänomen hängt mit seiner Umwelt zusammen, und die Umwelt hebt diese Phänomene empor, oder drückt sie herab. In den sau­beren und sorgsam instandgehaltenen Straßen von Berlin und Wien wird ein gutes Plakat von seinen Farben und For­men gleichsam auf eine Tribüne emporgehoben, bei uns werden auf Leistungen ähnlicher Qualität höchstens Insider des Fachs aufmerksam. Dem Blick des Laienpublikums ent­zieht das viele Gerümpel und das unsystematische Hin­klatschen der Dinge nebeneinander selbst die herausra­gendsten Werte. Wer die leuchtenden Reklamesäulen zum Beispiel in Wien gesehen hat, dem kommen die zu ähnli­chem Zweck aufgestellten und profan primitiven, farblich kitschigen, nur so halbwegs erleuchteten Lichtreklamesäu­len in Budapest kläglich arm und nachgerade als unnütze Geldverschwendung vor. Was in Wien ein sehr schätzens­wertes Propagandamittel im Dienst von Industrie und Han­del ist und beinah schon eine unverzichtbare Beigabe zur Ästhetik der Straße, das ist bei uns kaum mehr als balkani­sche Emporkömmlingsmanier. Es kann generell festgestellt werden: wie in vielen anderen Bereichen unseres Lebens herrschen auch auf dem Gebiet der Werbung diese beiden extremen Auffassungen. Das Publikum versteht sowieso nichts davon, also ist das auch so gut genug, oder wenn wir schon was machen, wollen wir zeigen, daß wir keine Bettler sind. Natürlich zeugen beide Auffassungen davon, daß man die Berufung der Reklame nicht begriffen hat und letztlich unnötig Geld rausschmeißt. Dabei muß doch die Reklame zuvorkommende und zuverlässige Propaganda zur Käufer­schaft hin leisten und für den Erzeuger und den Händler gleichbedeutend sein mit rationellem betrieblichen Handeln. Die Reklame ist ein sehr bedeutsamer Vermittlungsfak­tor zwischen Produzenten und Konsumenten. Und ein ebensolcher Vermittlungsfaktor ist auch die Aus­lage: das Schaufenster. Generell muß allerdings auch auf diesem Gebiet eine dem Obengesagten ähnliche Kritik ge­übt werden. Ausgenommen sind lediglich die Auslagen eini­ger Luxusläden in der City, gleicherweise wie auch einige Plakate Ausnahmen bilden in der ansonsten kläglichen Pla­katflut. Bei solchen Fragen von öffentlichem Interesse hat, wer mit seinen kritischen Bemerkungen auch dem breiten Publikum nützen möchte, stets das Durchschnittsniveau im Auge zu behalten. Wenn es zum Beispiel um eine Kunst­ausstellung geht und der Kritiker unter hundert Bildern eins findet, das sich aufgrund seiner ästhetischen Qualitäten oder seiner Färb- und Formenproblematik über das Niveau der vorjährigen Ausstellung erhebt, dann kann eine Entwick­lung in der künstlerischen Ausdrucksfähigkeit getrost kons­tatiert werden. Bei der angewandten Kunst sind jedoch au­ßer dem primären Schöpfer auch noch andere wichtige Fak­toren präsent, und das erschaffene Werk ist nicht nur Aus­druck seiner selbst wie bei den schönen Künsten, sondern es muß sich zugleich in den Dienst einer außenstehenden Idee oder eines Interessenkomplexes stellen. Ein malermäßig schönes Plakat ist noch nicht mit Gewißheit ein gutes Pla­kat, wie auch eine mit Waren überladene oder „künstlerisch dekorierte" Auslage noch nicht unbedingt eine gute Auslage ist. Ja im Gegenteil! Grade diese beiden irrigen Auffasungen sind es, was die Schaufenster vom ästhetischen Gesichts­punkt häßlich erscheinen läßt und die Kauflust des Publi­kums verringert und nicht selten gänzlich schwinden läßt. Seiner Natur nach wäre das Schaufenster dazu berufen, eine vermittelnde Rolle zwischen Käufer und Verkäufer wahrzunehmen. Unzähligemal kommt es vor, daß man die Straße entlanggeht, ohne an den Kauf gewisser Gegenstän­de zu denken oder sie sonderlich zu benötigen, und da macht einen ein schön bzw. gut gestaltetes Schaufenster für einen Moment die materiellen Sorgen vergessen und zugleich das ausgestellte Ding begehren, und geleitet einen gleichsam hinein in den Laden. 19

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