Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Wien-brevier - Frigyes Karinthy: Der strassen kehrer
Anerkennung: Meine Kunst verschmolz mit meiner Person und ging mir ins Blut. Ich spürte, dass ich perfekt war - auf meine Art ich glaube nicht, dass es in diesem Land noch jemanden gab, der die feinen Nuancen der Kehrkunst so durch und durch gekannt hätte wie ich. Der Erfolg blieb nicht aus: Alsbald gelangte ich an die Hauptstraße, und die hohe Regierung betraute mich mit den verzwicktesten Aufgaben. Ich wurde zum Kehraufseher ernannt: Fünfzehn Jahre lang musste ich überprüfen, ob der Abfall, den man an den Straßenrand gekehrt hatte, dann auch ordnungsgemäß in die Abfallkübel überführt wurde. An diese Blütezeit meiner Laufbahn erinnern sich noch viele: Mein hochgeschätzter Freund, Alois Grün, der zu jener Zeit an der Ecke Merkerstraße Kofferträger in Amt und Würde war, kann erzählen, wie ich damals lebte: Auf meinem Tisch, an dem auch die herausragendsten Staatsorgane der Umgebung erschienen, fehlte nie eine kräftige Suppe, manchmal aber durchbrach das Knallen von Bierflaschenverschlüssen die Stille. Ich mietete ein ganz besonderes, nur für meinen eigenen Gebrauch bestelltes Bett, aus echtem Holz gezimmert inmitten eines wildromantischen, altehrwürdigen Monatszimmers, direkt neben dem Ofen, über meine Hüte, meine Schuhe erzählte die junge, aufstrebende Straßenkehrergeneration sich Legenden; schwindelnd verfolgte sie meinen Höhenflug; ich hatte ein paar Schuhe, für die ich ganze acht Kronen ausgegeben hatte. Vielleicht war es gerade die verschwenderische Leidenschaft, die meinen Fall verursachte. Doch ich hatte auch Neider: Viele der Jungen konnten dieser Laufbahn nicht untätig zuschauen. Abends, als ich, müde vom Fieber meiner Erfolge, mich ausgelaugt aufs Bett niederließ, schlichen sie sich auf die Straßen und warfen Abfall an die Stellen, an denen ich eine halbe Stunde zuvor noch gekehrt hatte. Und dann gab es, ich weiß, das es welche gab, obwohl ich keine Möglichkeit habe, es zu beweisen, durchtriebene Spitzel, die bei der Regierung gegen mich intrigierten, sich auf den Abfall berufend, um mich aus meiner verantwortungsvollen Position zu treiben. Die Regierung wurde überhaupt von allen Seiten angegriffen: Wegen der Kriege war die Lage des Finanzministers eine prekäre, und es bedurfte eines Menschen, den man als Sündenbock hinstellen konnte, jemandes, dessen Fall ihre Lage erleichtern würde. Seit Jahren hatte ich schon geahnt, dass ich das sein würde: Ich war ihnen zu groß geworden, sie fürchteten sich vor mir. Doch trauten sie sich nicht, offen gegen mich vorzugehen; zuerst versetzten sie mich nur von der Ringstraße in ein Seitengässchen. Berchtolds unglückliche Außenpolitik aber besorgte den Rest: Es scheint, ich war auch bei Hof in Ungnade gefallen. Gestern erhielt ich schließlich die Benachrichtigung: Nach zwanzig Jahren im öffentlichen Dienst wurde ich suspendiert. 220