Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Studien - Tamás Gajdó: Im wartesaal zur weltkarriere
TAMÁS GAJDÓ: IM WARTESAAL ZUR WELTKARRIERE UNGARISCHE T H E AT E R KÜ N ST L E R IN WIEN In Ungarn wurden die Zielsetzungen, Aufgaben sowie der Nutzen der Theaterkunst in jeder Epoche anders formuliert. Die beiden Eckpfeiler des patriotischen Theaters bedeuteten die Kultivierung der Nationalsprache sowie das Wachhalten des Nationalgefühls. Zwar machten auch die frühesten theatertheoretischen Schriften in ungarischer Sprache Zugeständnisse an die niveauvolle Unterhaltung des Publikums, doch lässt sich überaus schwer entscheiden, worüber sich der Träger des Theaters (der Staat oder die Stadt) mehr freute: über die hohe Kunst oder einen Theaterbetrieb, der keine Verluste verzeichnete. Denn - um hier Aurél Kárpáti zu zitieren - „jedes Theater braucht ein Publikum. Und es geht mit Kompromissen einher, das Publikum heranzulocken, es zu gewinnen und zu halten (...) meist auf Kosten der reinen Kunst. Vor einem leeren Zuschauerraum spielt man vergebens auf der Bühne, auch die leidenschaftlichste Kraftanstrengung bringt kein wahres Theater hervor.“1 Diese Dualität spielte auch bei der Beurteilung der Karriere ungarischer Dramen im Ausland eine Rolle. Die offizielle literarische und künstlerische Öffentlichkeit, darunter die Kulturpolitiker hegten den Wunsch, dass die beiden als Klassiker verehrten ungarischen Dramen, Bonus Bánk von József Katona und Die Tragödie des Menschen von Imre Madách, die ungarische Bühnenliteratur im Ausland repräsentieren sollten, In Wirklichkeit konnten aber nur solche Werke mit einer Aufführung im Ausland rechnen, die auch einen Publikumserfolg versprachen. Dies ist keineswegs verwunderlich: Warum sollte man ohne jegliches Interesse Werke einer fremden Literatur fördern? Zudem beschränkte sich das Ausland lange Zeit nur auf die Kaiserstadt Wien. Die österreichische Regierung aber ließ Bonus Bánk - aufgrund der Deutschfeindlichkeit des Dramas - auch in Ungarn nur stark zensiert spielen. Die Karriere des Stückes Die Tragödie des Menschen hingegen war dadurch bestimmt, dass man es aufgrund seiner Ähnlichkeit zu Goethes Faust einfach für eine schlecht gelungene Kopie hielt. Im ersten Jahrhundert des ungarischen Schauspiels gelangte kaum etwas auf die Bühnen der Residenzstadt des österreichischen Herrscherhauses, das auch den ungarischen Thron innehatte. „Wien spielte im ungarischen Literaturleben eine bedeutende Rolle; es vermittelte uns die Kultur des Westens, und so wäre es auch seine Berufung gewesen, sich der ungarischen Literatur, die sich im Ausland unbedingt Geltung verschaffen wollte, anzunehmen und zu einem Teil der Weltliteratur zu machen. Aber was sehen wir stattdessen? Teils aus politischen Gründen, teils aus 175