Magyar László szerk.: Orvostörténeti Közlemények 170-173. (Budapest, 2000)
KÖZLEMÉNYEK — COMMUNICATIONS - Lammel, Hans-Uwe: Konzepzionswandel. Die Berliner Chirurgische Klinik in der Ziegelstrasse im Übergang von Bergmann zu August Bier. — Koncepcióváltás. A berlini Ziegelstras s ei Sebészeti Klinika Bergmanntól August Bierig
Listerei begann, 3 behauptet Lawrence, es seien eher randständige Gebiete wie die Gynäkologie und Geburtshilfe gewesen, die — fast möchte man sagen — ganz unmittelbar und direkt nach diesen neuartigen Verfahren wie beispielshalber das Listern gegriffen haben. 4 In chirurgischen Kreisen sei andererseits weit eher die Haltung anzutreffen gewesen, daß der Schmerz zur chirurgischen Operation wie zum chirurgischen Selbstverständnis dazu gehöre, eine Ansicht, mit der sich noch 1953 der Leipziger Chirurg Erich Wachs auseinandersetzen muß. 5 Beide von Lawrence gemachten Feststellungen verweisen auf eine, vielleicht bisher eine wenig unterschätzte, aber desto augenfälligere innere Eigendynamik der Chirurgie auf ihrem Weg zu einer Disziplin. Im Anschluß an die Überlegungen von Sigerist und Lawrence lautet meine These — entgegen noch gängigen Ansichten —, nicht der Tod Ernst von Bergmanns brachte einen konzeptionellen Einschnitt in die deutschsprachige Chirurgie mit sich, also nicht Carl Ferdinand von Graefe und Johann Friedrich Diejfenbach, nicht Bernhard von Langenbeck und Ernst von Bergmann sind jeweils zwei Schuhe des gleichen Paars, sondern trotz eines klinikinternen Konzeptionswechsels am Übergang von Ernst von Bergmann zu August Bier gehören gerade August Bier und Ernst von Bergmann im deutschen Kontext ganz unmittelbar zueinander, sind aufeinander bezogen und bilden — wissenschaftshistorisch betrachtet und mit dem Blick auf das Insgesamt der Chirurgiegeschichte der letzten 200 Jahre — für sich genommen eine wichtige Etappe, die die Dynamik der Disziplingenese reflektiert und ohne die — und das sei nur nebenbei vermerkt — eine Chirurgie im Nationalsozialismus nur teilweise verständlich wird. 6 Das Auffallendste am Wirken von Bergmanns in der Ziegelstraße seit 1882 ist meines Erachtens sein besonderes Verhältnis zur Rolle der Naturwissenschaft bzw. zur Rolle der einer naturwissenschaftlichen Vorgehensweise verpflichteten oder mit naturwissenschaftlichen Verfahren operierenden Gebiete der Medizin und Chirurgie wie pathologische Anatomie und Bakteriologie. Um einige Beispiele zu nennen: An die erste Stelle gehören die von Bergmann und seinen Mitarbeitern bearbeiteten Fragen der Wunde und der Wundstörungen. 7 Zum einen 3 Henry Ernest Sigerist: Surgery at the Time of the Introduction of Antisepsis, Journal of the Missouri State Medical Association 32 (1935), S. 169—176, hier S. 171. Beispielhaft für das von Sigerist Hervorgehobene sei hier nur auf den Rostocker Chirurgen Carl Friedrich Quittenbaum (1793—1852) verwiesen, der 1826 als einer der ersten eine Splenektomie und 1834 eine Ovarektomie durchführt (Mögen viele Lehrmeinungen um die eine Wahrheit ringen. 575 Jahre Universität Rostock, hrsg. vom Rektor, Rostock 1994, S. 180), und an die Bemerkung des Hallenser Medizinhistorikers Ludwig Hermann Friedländer: Vorlesungen über die Geschichte der Heilkunde, Leipzig 1839, S. 439, erinnert, daß „beispielloser Eifer ... in den Gebieten der Chirurgie und Geburtshülfe" herrsche, „wenn hier nicht oft vielleicht zu sehr die Technik der Naturheilkfaft" vorgreife. 4 Christopher Lawrence: Democratic, Divine and Heroic: the History and Historiography of Surgey, in: ders. (Hrsg.): Medical Theory, Surgical Practice. Studies in the History of Surgery, London/New York, S. 1—47, hier S. 26. 5 Ebenda, S. 24. Erich Wachs: Fortschritte der Chirurgie und ihre Bedeutung für die Unfallheilkunde, Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Math-nat. Reihe, 4 (1954/55), H. 3/4, S. 389—393. 6 Hans-Uwe lammel: Chirurgie und Nationalsozialismus am Beispiel der Berliner Chirurgischen Universitätsklinik in der Ziegelstraße, in: Exodus von Wissenschaften aus Berlin. Fragestellungen — Ergebnisse — Desiderate. Entwicklungen vor und nach 1933, hrsg. von Wolfram Fischer, Klaus Hierholzer, Michael Hubenstorf, Peter Th. Walther und Rolf Winau, Berlin 1994, S. 568—591 (Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Forschungsbericht 7, Arbeitsgruppe. Exodus von Wissenschaften aus Berlin), und ders.: Chirurgie zwischen therapeutischem Konzept und „Weltanschauung". Das Beispiel August Bier (1861—1949), Manuskript. 7 Ernst von Bergmann: Die antiseptische Wundbehandlung in der Kgl. chirurgischen Universitäts-Klinik zu Berlin, Klinisches Jahrbuch. Im Auftrage Seiner Excellenz des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten Dr. von Gossler hrsg. von A. Guttstadt 1 (1889), S. 147—166.