Kalicz Nánor: Früchneolitische Siedlungsfunde aus Südwestungarn. (Inventaria Praehistorica Hungariae 4; Budapest, 1990)
EINLEITUNG
se führte, Anfänge eines Beziehungssystems zustande kamen. 28 Die Möglichkeit einer südosteuropäischen Neolithisierung schließen wir aufgrund der zur Verfügung stehenden Beweise (sowohl in Bezug auf das Schaf als auch auf die Getreidesorten) aus, weil im Falle des Schafes und/oder der Ziege die seit Jahrzehnten irrtümlich gedeuteten, gemischten stratigraphischen Daten eines einzigen Fundortes hartnäckig wiederkehren. 29 Die Übergangsformen der Getreidedomestizierung fehlen ebenfalls. 30 Diese Tatsache fällt so sehr ins Gewicht, daß neuestens die frühneolithische, ja sogar die spätere Domestizierung des am Ort domestizierbaren wichtigsten Haustieres, des Rindes, bestritten wird. 31 Man ist der Meinung, daß alle Hausüergattungen zusammen, in domestizierter Form nach Südosteuropa gelangt sind und daß ihre weitere Gegenwart mit Ausnahme des Schweines ausschließlich durch die eigene Reproduktion gewährleistet war. In diesem Falle wird das Fehlen der die Domestizierung beweisenden Übergangsformen hervorgehoben. In Anbetracht der riesigen Urrind- und Wildschweinbestände bezweifeln wir die Richtigkeit dieser Annahme, doch ist die Lösung der Frage keine archäologische Aufgabe. In Hinblick auf die vorstehend erwähnten Tatsachen ist sich jetzt schon die herkömmliche und die moderne Archäologie nolens-volens darüber einig, daß das Zustandekommen der produzierenden Lebensweise zuerst in Südosteuropa, und dann in Mitteleuropa die Folge äußerer Faktoren war, deren Ursprungsort der Nahe Osten, bzw. Südwestasien war. 32 Um es einfacher zu sagen: das Neolithikum gelangte in fertig entwickelter Form, mit mehreren Sorten domestizierten Getreides und mit dem Komplex domestizierter Haustiere, ja sogar samt der Kenntnis der Keramik, den Komponenten also, die das europäische Neolithikum am besten charakterisieren, nach Südosteuropa. 33 Eine lebhafte Debatte hat die Frage ausgelöst, ob das präkeramische Neolithikum schon im südlichsten Teil Europas erschienen ist. Ebenso, wie eine lokale selbständige Entwicklung des Neolithikums eindeutig zurückweisbar ist, so stellt ein großer Teil der Forschung auch die frühere außereuropäische Entwicklungsphase des Neolithikums, die Übernahme des der Kenntnis der Keramik vorausgegangenen Neolithikums in Frage. 34 Die Grundlagen solcher Annahmen sind im geringen Umfang der Erschließungen und in den aus diesem Grunde irreführenden Quellen bzw. deren falscher Interpretierung zu suchen. An diese Annahme schließt auch die nicht sehr stark beachtete Meinung an, wonach das präkeramische Neolithikum bis nach Mitteleuropa vorgedrungen ist, und zwar als erste Welle der vom Süden her 35 kommenden Diffusion. Diesbezüglich verfügen wir jedoch über keinerlei Beweise. Auch einige Gedanken über das südosteuropäische und über das mitteleuropäische Neolithikum sind kurz zu erläutern, damit die lokalen Probleme der Anfange des Neolithikums deutlicher sichtbar werden. Auch das spärliche Quellenmaterial zeigt an, daß die epipaläolithischen Traditionen entschieden weiterlebten, und daß sich in Mitteleuropa auch eine eigenartige mikrolithische Steinindustrie ausbreitete. Zugleich spielten die großen Gebirgszüge (Alpen, Karpaten, Dinarischen Alpen, Balkangebirge) mit ihrer trennenden Wirkung bei der Entstehung der lokalen mesolithischen Gruppen eine Rolle. Die Ausbreitung der spätneolithischen Steinindustrie stimmt in vieler Hinsicht mit der Verbreitung der großen Komplexe des mittel- und südosteuropäischen Frühneolithikums überein. Das heißt, daß in diesen bis zu einem gewissen Grade lokale Eigenarten erkennbar sind, in denen in der materiellen Kultur zum Ausdruck kommende homogene Tendenzen mehr oder weniger zur Geltung kamen. Wenig bekannt jedoch sind die Eigenarten der kleineren lokalen mesolithischen Einheiten, in denen vor allem die Wirkung der abweichenden ökologischen Umstände zum Ausdruck kommt. In großen Zügen heißt das, daß das mitteleuropäische Mesolithikum von den großen Einheiten und innerhalb dieser von der Einheit der vorhandenen Unterschiede bestimmt ist. Es ist zu bedauern, daß wir im Karpatenbecken das Mesolithikum vorläufig kaum kennen, wo doch ohne das Wissen um die lange Periode das Entstehen des Frühneolithikums nicht gut genug zu verstehen ist. Die Funde sind vorläufig so sporadisch, daß sich bezüglich des ungarischen Mesolithikums von einander abweichende Meinungen herausgebildet haben, 36 für die ein extremes Beispiel die Auffassung ist, daß mit der Veränderung des epipaläolithischen Klimas und der Umwelt das hier lebende Volk paläolithischen Ursprungs zusammen mit der eiszeitlichen Tierund Pflanzenwelt das Gebiet des Karpatenbeckens verließ. 37 Es wäre - vor allem was die Tiefebene betrifft - vollständig leer geworden, weil nach Meinung eizelner Vertreter der geographischen Forschung in der frühen Holocen (Präboreal, Boreal) Periode die Tiefebene, aber auch ein großer Teil Transdanubiens infolge der naturgeographischen Umstände für menschliche Niederlassung ungeeignet waren. 38 Für eine Annahme dieser Vermutung besteht aber kein Grund, besonders wenn man die ungarländischen Ver39 hältnisse mit den umliegenden Gebieten vergleicht. Das beste Gegenbeispiel ist die Gegend am Eisernen Tor, wo binnen kurzer Zeit eine verhältnismäßig große Anzahl mesolithischer Fundorte auf beiden Seiten aufgedeckt wurde. 40 Ohne auf die chronologischen Probleme einzugehen kann kein Zweifel bestehen, daß die die Fundorte am Eisernen Tor bestimmende Steinindustrie die paläolithischen Traditionen fortsetzt, wobei die im Mesolithikum entstandenen, lokalen Eigentümlichkeiten zur Geltung kommen. 41 Einige Fundorte spiegeln auch den Einfluß des Frühneolithikums wider, ohne daß im Eisernen Tor bruchartige Änderungen in der Entwicklung nachweisbar wären. Die Lebensweise hatte fortlaufend - bis zum wirklichen lokalen Erscheinen der Starcevo-Kultur - mesolithischen Charakter, und blieb auch bestehen, als vermutlich in den umliegen-