Kalicz Nánor: Früchneolitische Siedlungsfunde aus Südwestungarn. (Inventaria Praehistorica Hungariae 4; Budapest, 1990)
EINLEITUNG
den das wirkliche Neolithikum schon begann. Obwohl das Mesolithikum im Eisernen Tor u.a. durch die selektive Jagd bestimmt ist, traten in der Steinindustrie aus den neolithischen Gemeinschaften der umliegenden Gebiete stammende Einflüsse auf. 42 Die lokale Domestizierung des Hundes ist nachweisbar, 43 die Anzeichen einer anfänglichen Pflanzenanbau beruhen jedoch auf einem Mißverständnis. 44 Auch die aus Geweihen gefertigten großen Werkzeuge dienten nicht zur Auflockerung des Bodens, sondern eher zum Herausscharren eßbarer Knollen aus dem Boden. 45 Die klimatischen und die ökologischen Verhältnisse sind vor allem zwischen der Tiefebene und Transdanubien auch heute verschieden und diese Unterschiede dürften zur Zeit des Atlantikums, also des Frühneolithikums (6. Jahrtausend v. Chr.) noch bedeutender gewesen sein. Das Gebiet der Tiefebene mit seinem waldigen Steppencharakter und seinem stärker zur Geltung gekommenen kontinentalen Klima war mit den ost-mediterranen Gebieten, einschließlich eines Teils des Balkans entschiedener verbunden. 46 Transdanubien aber (mit Slawonien zusammen) stand mit seinen bewaldeten Gebieten, mit seinem an Niederschlägen reicheren Klima mehr mit den ozeanischen Gebieten in Zusammenhang. 47 Manche Meinungen gehen dahin, daß die vorläufig unerklärbare nördliche Grenze der Verbreitung der frühneolithischen Kulturen und ihre Verschiedenheit zwischen den beiden Teilen des Landes auch durch die abweichenden klimatischen Verhältnisse bedingt waren. 48 Trotzdem scheint es, daß die an die balkanisch-ägäische Region anschließenden frühneolithischen Kulturen in ihrer Ausbreitung den durch die isothermischen Linien bezeichneten Grenzen nicht folgten. Es scheint nur wahrscheinlich, daß die gegenwärtigen Sonnentage pro Jahr und das Maximum der Sommertemperatur sowie der geringste Niederschlag sich weit in den Norden der Tiefebene hinaufzog und fast das ganze Gebiet der Körös-Kultur umfaßte. 49 Auf dem Starcevo-Gebiet Transdanubiens läßt sich eine solche Übereinstimmung auch nicht annähernd feststellen. Unseres Wissens kann kein Zweifel bestehen, daß die neolithische Lebensweise mit all ihren bedeutenden Errungenschaften zusammen vom Süden nach Norden fortschreitend in das vorstehend beschriebene Gebiet des Karpatenbeckens gelangt ist. Ob wir nun die Ansichten der Vertreter der traditionellen oder der „neuen Archäologie" in Augenschein nehmen, Tatsache ist, daß in dieser Frage - trotz aller Widersprüche - sozusagen volle Übereinstimmung herrscht. Unter den Anhängern beider „Schulen" gibt es aber welche, die aufgrund der Migration, Diffusion und Adaptierung die Art und Weise der Verbreitung abweichend beurteilen. Der Charakter des Mechanismus ist auch jetzt noch unbekannt, obwohl in dessen Beurteilung die „neue Archäologie" zu Ergebnissen gelangt ist, die weitgehendst detailliert und exakt zu sein scheinen. Aber auch hier macht man die Erfahrung, daß bezüglich der verchiedenen Varianten der Verbreitung, einander scharf widersprechend die einzelnen Wissenschafüer ihre eigene Meinung, von der selektiven Annahme der Migration bis zur Verbreitung ohne konkrete Formulierung (...die neolithische Lebensweise verbreitete sich in Europa...) für allein möglich und annehmbar hielten. 50 Ich selbst vertrete die vorsichtige Meinung, daß die vorläufig unbekannte mesolithische Grundbevölkerung, die hier gelebt hat, sich mehr oder weniger der Entwicklungsstufe näherte, die vom unerwarteterweise entdeckten Volk am Eisernen Tor vertreten wird, und die bereit war, die neue Lebensweise aufzunehmen, die meiner Vorstellung nach von Süden her, aus mir unbekannten Gebieten des Balkans heraufziehende Menschengruppen unbekannten Umfangs mit sich brachten. In Symbiose mit der lokalen mesolithischen Bevölkerung bildeten sie im nördlichen Randgebiet der balkanisch-ägäischen Region die neolithische Körös-Starcevo-Cri§-Kultur. Nach der konventionellen Radiokarbonchronologie sind wir vorläufig bezüglich der vom Süden nach Norden gerichteten Bewegung (Diffusion) bzw. ihrer Gründe in der Mitte oder in der zweiten Hälfte des 6. Jahrtausends v. Chr. ausschließlich auf Vermutungen angewiesen. Wir sehen keinen Grund zu der Annahme, wonach aufgrund des reichlichen, ein hochentwickeltes, vielschichtiges und kompliziertes rituelles Leben bezeugenden Fundmaterials am Eisernen Tor die Existenz eines selbständigen, neolithisierenden, dem nahöstlichen gleichrangigen Zentrums als Wirklichkeit zu untersuchen ist. 51 Es scheint unzweifelhaft zu sein, daß in den Gebieten nördlich der Grenzlinie in ganz Mitteleuropa das mesolithische Volk noch sein Leben weiterlebte. In dem riesigen Gebiet bildeten sich bereits im Mesolithikum die Keime jener Einheit heraus, die sich in der Kultur der Linienbandkeramik des frühesten mitteleuropäischen Neolithikums offenbarte. Die älteste Phase der mitteleuropäischen Linienbandkeramik umfaßt auch Transdanubien. Es besteht kein Zweifel, daß ihre Entstehung entscheidend von den frühen neolithischen Kulturen des nörlichen Randgebiets der balkanisch-ägäischen Region beeinflußt wurde. 52 In der frühneolithischen (nach der ungarischen Terminologie bereits mittelneolithischen) mitteleuropäischen Region kann sich die nahrungerzeugende Lebensweise selbständig nicht entwickelt haben. Nach Übernahme der neuen Lebensweise (in der ersten Hälfte des 5. Jahrtausends v. Chr.) kamen die lokalen Eigenheiten der Entwicklung, die charakteristischen Züge der materiellen Kultur sehr rasch zur Geltung und das selbständige Gesicht der großen mitteleuropäischen Region schied sich scharf von den ebenfalls selbständigen, jedoch anders gearteten Zügen der balkanisch-ägäischen Region ab. Über die wirkliche Berührung zwischen den beiden Regionen haben wir bisher ausschließlich aus Transdanubien, bzw. aus dem anschließenden kleineren Gebiet Daten, aus einer Region also, wo die Übergabe bzw. Übernahme der neolithischen Errungenschaften in der mit der Starcevo-Kultur in Berührung stehenden Zone