Kalicz Nánor: Früchneolitische Siedlungsfunde aus Südwestungarn. (Inventaria Praehistorica Hungariae 4; Budapest, 1990)

EINLEITUNG

Entwicklung bedeuten. Entwicklung bedeutet in erster Linie eine Änderung der Produktionsweise, die mit Hilfe der Technik oder sonstwie die Produktionser­gebnisse und die Menge der im Verkehr befindlichen Tausch- (Prestige-) guter erhöht. Innerhalb des Neoli­thikums hat es vom Anfang bis zum Ende bezüglich des Inhalts der Entwicklung kaum eine Abweichung gegeben und deshalb ist es sehr wesentlich, echte Ent­wicklung aufzuzeigen, wo das möglich ist. In der archäologischen Forschung erhält vor allem unter dem Einfluß der „neuen" Archäologie die Modellbildung, die Begründung der verschiedenen, theoretisch erarbeiteten Strukturen, das Bemühen um die Meßbarkeit der Erscheinungen und Zusammen­hänge, immer mehr Gewicht. In all dem spiegeln sich die philosophischen Strömungen unserer Zeit, die man in erster Linie mit den Methoden der modernen Sozio­logie in die Theorie und Praxis der archäologischen Forschung umsetzen möchte. 11 Die neuen Richtungen der Archäologie verbrei­tete in erster Linie die angelsächsische „neue Archäo­logie", indem sie gegen die traditionelle Archäologie einen frontalen Angriff richtete. 12 Es steht außer Zweifel, daß die „neue Archäologie" die Grenzen der herkömmlichen weitgehend erweitert hat und mit ihren neuen, zutiefst philosophischen Gesichtspunkten früher als unerkennbar geltende Details der Struktur, der Veränderung und der Entwicklung der Urgesell­schaft erschlossen hat. Es ist vielleicht kein Zufall, daß den Schwerpunkt, den überwiegenden Teil der Forschungen der „neuen Archäologie" der Wunsch beseelt, gerade die Entwicklung der produzierenden Lebensweise und das Anfangsstadium ihrer Entwick­lung kennenzulemen.Es ist deshalb natürlich, daß die Untersuchungen in erster Linie auf den Nahen Osten gerichtet sind. Alle Richtungen der archäologischen Forschung sind sich nämlich darüber einig, daß die Domestizierung von Pflanzen und Tieren voneinander unabhängig oder einander gegenseitig beeinflussend am frühesten im Nahen Osten, auf dem gewaltig großen Gebiet, das sich vom Iran bis Jordanien und Anatolien erstreckt, an mehreren Orten zugleich be­13 gönnen hat. Da die Grundforschungen den Beweis erbracht haben, daß auf diesem großen Gebiet der Übergang von der jagenden, fischenden und sammeln­den, meist beweglichen Lebensweise auf die nah­rungsproduzierende, meist seßhafte Lebensweise nicht explosionsartig vor sich ging, sondern daß der Wandel sogar einige Jahrtausende umfasste, leugnen viele Forscher, in erster Linie die Vertreter der „neuen Archäologie" die Berechtigung der Theorie der neoli­thischen Revolution. 14 Der Einwand hat nach unserem Zeitempfinden auch seine Berechtigung, be­sonders wenn man die Zeitdauer der „sozialistischen" oder der französischen bürgerlichen gesellschaftlichen Revolution zum Vergleich heranzieht. Aber die er­wähnten Revolutionen hatten ihre Vorgeschichte, die der Explosion voranging, und auch ihre volle Entfal­tung und Konsolidierung nahm Jahre, ja sogar Jahr­zehnte in Anspruch. Die Parallelität ist vielleicht noch überzeugender, wenn man in der Geschichte unserer Neuzeit die industrielle Revolution untersucht, die im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Revolutionen nicht explosionsartig vor sich ging, sondern durch die lange Zeit hindurch angehäufte Spannung und Erfah­rung der technischen Entwicklung einen Wandel der alten Qualität in eine neue Qualität verursachte. Als die neue Qualität in der Entwicklung überhand nahm, kam die neue Technik mit spektakulärer Geschwin­digkeit an die Herrschaft, aber nicht überall und nicht auf einmal und auch nicht in gleichem Maße. Es hat aber auch so jahrzehntelang gedauert, bis sich im klassischen Land der industriellen Revolution die Pro­duktionsverhältnisse von Grund auf änderten. Einige (1-2-3) Jahrtausende der produzierenden Wirtschaft (zwischen dem 10. bis 7. Jahrtausend v. Chr.) enthalten das allmähliche Aufkommen der neuen Tendenzen unter den alten Verhältnissen, dann das Umschlagen der alten Qualität in die neue Quali­tät und das zur- Geltung-Kommen der neuen Quali­tät. 15 Überall war aber innerhalb der für länger gehaltenen Zeitdauer des Wandels auch eine kürzere Zeitspanne, in der noch das Alte überwog, das Neue aber bereits dominant wurde, und diese kürzere Zeit­spanne füllte die den ganzen Wandel bedeutenden Jahrtausende nicht aus. Mißt man aber die Zeitdauer des zur Produktionsirtschaft führenden Wandels an der kaum bemerkbaren Änderung, „Entwicklung" der der neuen Qualität vorangegangenen mehreren zehn­tausend oder hunderttausend Jahre, so halte ich im Vergleich dazu die Anwendung des Begriffs der neo­lithischen Revolution auch für berechtigt. Da die angedeuteten Vorgänge sich zur Gänze außerhalb Europas abspielten und in das Ägäis, nach Südosteuropa und in das Karpatenbecken und von da nach Mitteleuropa das Ergebnis, sozusagen das End­produkt des Wandels gelangt ist, scheint es noch be­gründeter zu sein, auf diesen Gebieten von lokaler neolithischer Revolution zu sprechen. Die „neolithi­sche Revolution" ist nämlich in weiten Gebieten Europas binnen kurzer Zeit in einer entwickelten, fer­tigen Form vorherrschend geworden, wobei lokale Gegebenheiten zur Geltung kamen. Aufgrund der Tatsachenforschung, der moder­nen archäologischen Forschungen nach neuen Ge­sichtspunkten hat auch der Begriff des Neolithikums neuen Inhalt erhalten, bzw. eine wesentliche Erweite­rung erfahren. Solange der Prozeß der Entwicklung des Neolithikums im Nahen Osten und in ganz Europa noch unbekannt war, bezog die Forschung den Begriff des Neolithikums (vereinfacht) ausschließlich auf Keramik enthaltende älteste Fundkomplexe, mit denen sie die Anfänge der nahrungproduzierenden Le­bensweise verband, was sie für die wichtigste, be­zeichnendste Offenbarung des Neolithikums hielt. 16 Aufgrund der komplexen Untersuchungen ist es aber im Nahen Osten (Anatolien mit einbegriffen) deutlich geworden, daß das Neolithikum (also der Beginn der produzierenden Lebensweise) in den ersten Entwick­lungszentren der Entdeckung und der Verwendung

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