Kalicz Nánor: Früchneolitische Siedlungsfunde aus Südwestungarn. (Inventaria Praehistorica Hungariae 4; Budapest, 1990)

EINLEITUNG

nung übertreffenden Gebiet zunächst bis zum Rhein und dann bis ins Pariser Becken hinein ausdehnte. Transdanubien bildet naturgeographisch, in Bezug auf Oberfläche und Hydrographie keine ge­schlossene Einheit. Das bezieht sich auch in archäolo­gischer Hinsicht auf das Neolithikum, auf das Anfangsstadium der Produktionswirtschaft. Das Gebiet hat zwar eine geringe Ausdehnung, doch wird diese um ein Vieles durch die Bedeutung dieser Region für die Zeit des Neolithikums übertroffen. Das Gebiet Transdanubiens, das beinahe zur Gänze auf Ungarn fällt, ist zusammen mit den archäologisch an­schließenden Gebietsteilen des linken Donauufers kaum größer als 50.000 km . Es ist dies ein ver­schwindend kleiner Teil Europas, der aber in der Anfangsphase des Neolithikums, zur Zeit der Ent­wicklung der mitteleuropäischen lebensmittelprodu­zierenden Lebensweise, die sich sehr schnell auf ein 350.000 bis 400.000 km 2 umfassendes Gebiet ver­breitete, dennoch weltgeschichtliche Bedeutung er­langte. In Transdanubien trafen zwei „Welten" aufeinander und dieses kleine Gebiet wurde zum Schauplatz der Prozesse, die die Neolithisierung Mit­teleuropas, also die produzierende Wirtschaft einleite­ten (Taf. la). Die beiden „Welten" sind eigentlich zwei große neolithische archäologische Regionen, mit eigenartigen Zügen und eigenartigen archäologischen Merkmalen. 3 Das nördliche Randgebiet der balkanisch-ägä­ischen Region zog sich im Norden der Batschka, in der Mittellinie des Gebietes jenseits der Theiß (Ti­szántúl), die Landschaft Nyírség umgehend ganz bis zum großen Theißknie, bis in die Gegend von Uzgorod (Ungvár), also bis an den nordöstlichen Rand der Tiefebene, das ganze Gebiet Siebenbürgens mit einbegriffen (Taf. lb). 4 Die nördliche Grenze dieser Südregion befindet sich in der außerhalb der Karpaten liegenden Moldau, nahezu in der gleichen geographischen Breite. 5 Vorläufig ist es unbekannt, ob zwischen Siebenbürgen und der Moldau eine Be­rührung über die Karpatenpässe bestand, oder ob sich die Kulturen der balkanisch-ägäi sc hen Region inner­halb und außerhalb der Karpaten voneinander unab­hängig innerhalb der heute bekannten Grenzen entwickelten. Die Verbindung über die Karpatenpässe hat bestanden, was die in frühneolithischen Fundstät­ten der Moldau aufgefundenen Werkzeuge aus Obsi­dian zwar nur indirekt, aber jeden Zweifel ausschließend beweisen, da sie nur aus dem Gebirge von Tokaj-Zemplén in die Moldau gelangt sein können, was nur über die Pässe möglich war. Die Ausbreitung des Frühneolithikums in der Moldau dürfte vermutlich längs der Südostabhänge der Karpa­ten vor sich gegangen sein, während nach Siebenbür­gen das frühneolithische Volk längs der Russe Olt, Zsil, Temesch, Marosch usw., in den Norden Sieben­bürgens hingegen den Ruß Samosch entlang ein­drang. 6 Seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftigt sich die archäologische Forschung intensiv mit der Klärung der Anfange und des Schauplatzes der Do­mestizierung von Pflanzen und Tieren und somit mit der Frage der Entwicklung der Nahrungsmittelproduk­tion. Eine Revolution in der Archäologie bedeutete es auch, als V.G. Childe in den dreißiger Jahren den Begriff und die Theorie der „neolithischen Revolu­tion" einführte, 7 womit er die theoretische Grundlage der Erforschung des Neolithikums von Grund auf ver­änderte. Er brachte eine Lawine ins Rollen, die immer mächtiger werdend mit unverminderter Kraft auch heute noch einen jeden mit sich reißt, der sich in ir­gendeiner Form an der Erforschung des wichtigsten Wandels der Weltgeschichte, der Entstehung der nah­rungsmittelproduzierenden Lebensweise beteiligt. 8 Das Wesentliche der Debatten spitzt sich in zahlreichen Punkten zu. Zu den wichtigsten unter diesen gehören die Domestizierung und die monozen­trische oder polyzentrische Entwicklung der Produk­tionswirtschaft, die Art und Weise ihrer Ausbreitung, die Frage der Migrationen, die Annahme der Diffu­sion, die Bestimmung oder die Leugnung ihres Cha­rakters, die Fragen der Invention, der Innovation und der Adaptierung. 9 Die Erforschung der wichtigsten Fragen führt zu einer Vielfalt anderer, wesentlich neuer Gesichtspunkte, die den anfangs einfach er­scheinenden Prozeß außerordentlich kompliziert machen, indem sie versuchen, mit der Hilfe von Zu­sammenhängen, die auf eine früher unvorstellbar ge­wesene Vielzahl von Grundlagen aufbauen und zahlreiche Varianten aufweisen, auf die wichtigsten Fragen der heutigen Archäologie Antwort zu geben. Unter diesen stehen die räumlichen und zeitlichen Prozesse der Anfänge der produzierenden Gesell­schaft im Brennpunkt der Untersuchungen. Eine be­sondere Betonung liegt auf dem Menschen als sozialem Wesen und auf seiner Umwelt, d.h. also auf dem Versuch, das komplizierte Gewebe des Aufeinan­derwirkens der ökologischen und der gesellschaftli­chen Verhältnisse zu ordnen, sowie auf der vielumstrittenen Skizzierung der Vorstellungen von der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwick­lung. 10 Zugleich kann aber auch die verschiedene In­terpretierung des Begriffes „Entwicklung" in Frage gestellt werden. Arbeiten von Bedeutung verwenden eigentlich den Ausdruck „Entwicklung" nur zur Be­zeichnung der zeitlichen Prozesse. Es ist dies im ar­chäologischen Wortgebrauch allgemein, obwohl dieser Begriff in Wirklichkeit dazu dienen sollte, den tatsächlichen Inhalt der Entwicklung, das heißt also die qualitativen Veränderungen zwischen den ver­schiedenen Zustandsformen auszudrücken und zwar so, daß der Begriff „Entwicklung" den Übergang aus einen niedrigeren Zustand in einen höheren zum Aus­druck bringt. Innerhalb des Neolithikums haben wir noch kaum eine Möglichkeit, die Unterschiede zwi­schen den Zuständen verschiedener Qualität auszu­drücken. Entwicklung läßt sich zwischen der mesolithischen und der neolithischen Lebensweise feststellen und in den gesellschaftlichen Verhältnissen nachweisbar eintretende Veränderung kann auch eine

Next

/
Oldalképek
Tartalom