Kolba H. Judit: Liturgische Goldschmiedearbeiten im Ungarischen Nationalmuseum. 14.-17. Jahrhundert. (Catalogi Musei Nationalis Hungarici. Series Mediaevalis et Moderna 1; Budapest, 2004)

DIE LITURGIE UND IHRE OBJEKTE

zu hüten. Ursprünglich war ihr Krummstab aus Holz, daraus entstand im Laufe der Jahrhunderte die heutige Form, zuerst aus Elfenbein, dann aus Edelmetallen, im Allgemeinen aus vergoldetem Silber. Bereits in der goti­schen Kunst wurden auch für die ungarischen Bischöfe einige wunderschöne Krummstäbe verfertigt: der schön­ste ist der in Esztergom aufbewahrte von Miklós Oláh. 15 Der Hirtenstab wurde zur Insignie von Bischöfen, Äbten oder Pröpsten, die ihn während der Zeremonien nach bestimmten Regeln entweder selbst hielten oder einem der hinter ihnen stehenden Ministranten übergaben. In die frühe Sammlung des Nationalmuseums ist nur dieses frühbarocke Exemplar gekommen. Wir kennen seinen Eigentümer, den in der Zwischenzeit zum Bischof ge­weihten Jakab Haskó, der als Propst die Taufgarnitur (Nr. 128) in Auftrag gegeben hatte. Auf dem Nodus unter der Krümme steht die sehr schöne Statuette der Maria in königlichem Gewand, mit Krone und Zepter auf der Mondsichel, ein sehr häufiger Schmuck der Hirtenstäbe. Eine Rarität in der Sammlung ist der kleine Ölbehäl­ter, der Name Öl stammt vom lateinischen oleum. Das Salben mit Öl ist ein uralter, orientalischer Brauch, und in der christlichen Liturgie ergab sich sehr bald die Funk­tion des Salböls, und zwar bei drei Sakramenten: Der Täufling wurde mit dem Öl der Katechumenen gesalbt, das auf den Behältern mit dem Buchstaben „O" bezeich­net war, der Firmling mit dem die Buchstaben „CH" tra­genden Chrisma, und der Kranke mit dem Öl in der Pyxis „I" {infirmorum). Diese Öle wurden entweder gesondert in kleinen runden Gefäßen oder in dreigeteilten Behält­nissen aufbewahrt, die innen oft aus Glas waren. Der klei­ne Salbölbehälter der Sammlung gehört zu den dreige­teilten Gefäßen, laut der Inschrift wurde er 1677 auf Be­stellung von András Santosi, Pfarrer in Rozsnyó, von einem wahrscheinlich lokalen Meister verfertigt. Doppelt einmalig ist der silberne Weihwasserbecken der Sammlung, zum einen, weil es das einzige ist, und zum anderen wegen des hohen künstlerischen Niveaus der Arbeit des namentlich bekannten Meisters Bertalan Weigl aus Selmecbánya. Weihwasserbecken sind nur in der katholischen Kirche im Gebrauch. Beim Eingang der Kirchen standen gewöhnlich steinerne, marmorne Becken mit Weihwasser, doch gibt es auch an der Wand befestigte Varianten, Behälter mit viertelkugelförmigem Unterteil. Diese sind kleiner, oft aus Edelmetall, ein schönes Exemplar ist das Weihwasserbecken in unserer Sammlung, das mit einem kleinen Aufhängeöhr an die Wand gehängt werden kann (Nr. 131). Seine gesamte Aufhängeplatte ist treibverziert: in der Mitte die hl. Jungfrau mit dem Kind, umgeben von Engelsköpfen und prachtvollen großblumigen Tulpen. Auf Grund der letzteren kann dieses Exemlar als eines der schönsten Zeugnisse des in der 2. Hälfte des 17. Jh. bei den Gold­schmieden beliebten großblumigen Stils gelten. Zu den übrigen gemischten liturgischen Gegenstän­den gehören auch zwei Gebetbuchdecken. Zwar haben sie keine in der Liturgie vorgeschriebene Funktion, aber sie umgaben Gebetbücher, die bei allen liturgi­schen Handlungen gebraucht wurden und gehörten so­mit unmittelbar zu den Zeremonien der Kirche. Die eine ist mit Filigran, Edelsteinen und siebenbürgischem Email verziert (Nr. 132), bei der anderen ist das spärli­chere Filigran von email- und edelsteingeschmückten Agraffen bzw. breiten Reihen schön gefasster Edelstei­ne bedeckt (Nr. 133). Beide sind siebenbürgischer Her­kunft, sie stammen aus den Privatsammlungen der Fa­milien Bethlen (Nr. 132) und Esterházy (Nr. 133). GEGENSTÄNDE AUS PROTESTANTISCHEN KIRCHEN (KAT. NR. 134-162) In diesem Kapitel sind die aus protestantischen Kirchen stammenden Stücke erfasst. Bis auf zwei aus unitarischen Gemeinden (Nr. 155, 158) gehörten sie evangelischen und reformierten Kirchen. Ein Teil von ihnen kam durch Ankauf ins Museum, im Allgemeinen wurden plötzlich entstandene materielle Sorgen durch den Verkauf eines Gegenstandes beseitigt. Zahlreiche Gegenstände erwarb das Museum aber auch über Kunsthändler; aus ihren mündlichen Mitteilungen wissen wir, aus welcher Kir­che sie stammen. Oft half der Text der eingravierten In­schrift, den Namen der beschenkten Kirche zu ermitteln. In der Sammlung der Goldschmiedearbeiten befin­den sich zahlreiche liturgische Objekte, die ihrer Form nach profane Goldschmiedearbeiten waren: Deckelhum­pen, Fußbecher und Pokale. Auf Grund der Angaben über sie können wir viele dieser Stücke protestantischen Ge­meinden zuschreiben. Profane Gefäße wurden von wohl­habenden Gläubigen gestiftet, zumeist von Ehepaaren aus dem Hochadel und der Bürgerschaft, die keine be­sonderen Gegenstände liturgischer Form anfertigen lie­ßen, sondern eines ihrer Prunkgefäße der Kirche spende­ten. Zwar verkündete der Protestantismus in allen Le­bensbereichen den Puritanismus, aber weil in den frühen - oft von den Katholiken übernommenen - Kirchen kaum kirchliche Gefäße vorhanden waren, nicht einmal von einfachster Form, nahmen die Gemeinden mit Freude die sehr prunkvollen, glänzend vergoldeten profanen Gegen­stände an. da mit einem Humpen oder Fußbecher der Wein des Abendmahls oder Herrenmahls ebenso gespen­det werden konnte wie aus einem unverzierten Kelch.

Next

/
Oldalképek
Tartalom