Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
László Mednyánszky im Spiegelbild kunstwissenschaftlichen Schrifttums: wissenschaftliche und kulturhistorische Beiträge - Tünde Császtvay: Garküche, Kothurnen und Horner. Versuche eines Mäzenatentums zur Rettung der Nation und Seele Ungarns um die Wende des 19. Jahrhunderts
Die auslandserfahrene und in der Weltpolitik ebenfalls bewanderte Aristokratie musste sich jedoch darüber im Klaren sein, dass durch das Entstehen und die Entwicklung der Kapitalwirtschaft immer aufs Neue zu überdenken ist, wie sie ihre führende gesellschaftliche Position - auf den meistmöglichen Gebieten - auch weiterhin beibehalten kann. Sie war mit nicht wenigen Herausforderungen konfrontiert: es wurde immer dringender, Antworten zu geben auf die Lösung der Umgestaltung des Großgrundbesitzsystems, die Platzfindung im modernen kapitalistischen System, die Eindämmung des wirtschaftlichen Vorstoßes des Großbürgertums, das Einströmen einer hohen Anzahl von Mittel- bzw. ihren Grund und Boden verlorenen Kleingrundbesitzern in öffentliche Ämter und auf ihre völlige Raumgewinnung auf gewissen Gebieten, auf die anfänglichen Aktivitäten der Arbeiterbewegung sowie auf die Analyse der Folgen der Judenemanzipation, den Ausgleich mit den Nationalitäten und in diesem Zusammenhang auf die ungünstigen Veränderungen des Landesimages (völlige Zuspitzung der Balkan-Frage, die Schulverein-Angelegenheit, 3 der Prozess von Tiszaeszlár 4 ) - und die Suche nach diesen Antworten wurde immer quälender. Obwohl ein Teil der vornehmsten ungarischen Familien sich „als Teil der ,über den Nationen stehenden' Reichsaristokratie betrachtete", 5 gab es mehrere unter ihnen, die weiterhin ihre Verantwortung für die Führung der ungarischen Gesellschaft auf sich nahmen, ja diese sogar immer stärker betonten. Das künstlerische Leben der Epoche war - ähnlich wie in der Reformzeit - stark „durchpolitisiert". Die Söhne der neuen Generation, die im Jahrzehnt vor dem Ausgleich, in den 1850er Jahren, geboren worden waren, stürzten sich mit großen Erwartungen in das öffentliche Leben nach dem Ausgleich, wobei sie aus den Geschichte formenden Taten ihrer Väter die Lehren zogen und deren um die Nation bangende Moral und Standfestigkeit bewunderten. Sie glaubten, dass die Forderungen von 1848 endlich realisiert wurden, erkannten jedoch bald, dass die zwei Jahrzehnte unter österreichischer Unterdrückung nicht übergangen werden konnten, und dass es unerlässlich war, die Frage der Unabhängigkeit und das Verhältnis zur Monarchie bzw. die wirklichen Daseinsmöglichkeiten in der Monarchie neu zu überdenken. Ihre Belesenheit, ihre Studien und ihre Welterfahrenheit ermahnten sie gleicherweise zur Vorsicht, denn sie meinten aufgrund ihrer ausländischen Lektüren und Erfahrungen, dass die Nachteile und Missstände des Verbürgerlichungsprozesses, des Liberalismus und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in den westlichen Gesellschaften schon ziemlich stark zu spüren waren. Wenige Jahre reichten schon aus, dass sie - konfrontiert mit den infolge der gesellschaftlichen Veränderungen in Ungarn entstandenen und immer schwieriger gewordenen Problemen - sogar mit ihren restlichen Illusionen abrechneten. Ihre letzten Träume wurden durch die Wirtschaftskrise 1873, die Parteifusion 1875 (wodurch Kálmán Tisza, d. h. das konservative Großgrundbesitzertum und die gutsbesitzende Aristokratie an die Macht kamen) sowie den Abschluss des antirussischen deutsch-österreichisch-ungarischen Bündnisses zunichte gemacht. „[...] in den 90er Jahren setzt sich der qualhafte Prozess der Anpassung der traditionellen gutsbesitzenden Schichten an die bürgerlichen Verhältnisse fort", stellte Miklós Szabó fest. „Die 90er Jahre stellten in Ungarn eine Periode der Ansammlung gesellschaftlicher und politischer Probleme dar [...] In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts werden die sich aus einer Verschiebung des internen Kräfteverhältnisses ergebenden Probleme der herrschenden Klassen durch das Auftreten der agrarsozialistischen Bewegungen und der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung sowie durch Verschlimmerung der Nationalitätenprobleme verschärft und motiviert [...] Die große kapitalistische Konjunktur in den 70er Jahren, die ungarische ,Gründerzeit', dann deren Innehalten übten auf die ungarische Gesellschaft nach der Krise von 1873 mit ihrer Gesamtwirkung einen Schock aus. Es wurden nicht nur bis dahin vermögende und betuchte Schichten zugrunde gerichtet und neue Schichten mit hohem Einkommen hervorgebracht, sondern auch das Wertbewusstsein und das Sicherheitsgefühl der auf herkömmlicher Basis beruhenden Gesellschaft erschüttert." 6 Die Mehrheit der Generation, die auf die „Macher" des Ausgleiches folgte, betrachtete die um sie herum stattfindende politisch-wirtschaftliche Schlammschlacht schon von vornherein enttäuscht und apathisch und kehrte den Aufgaben der hohen Politik und der Finanzwelt den Rücken zu. Es gab nur wenige, die - auf der Flucht vor der materiellen Welt - in der Welt der Künste oder in der als Rettung der Nation verstandenen Expedition nach Beruhigung und Welterlösung suchten. Um die Aussichtslosigkeit und den Ausstieg aus dem Alltagsleben zu belegen und prinzipiell zu begründen, suchten sie - wie die Schriftsteller der Epoche - nach philosophischer Bestätigung. Sie entdeckten die Theorie Schopenhauers und Darwins aufs Neue und modernisierten sie gewissermaßen. Sie vertieften sich in jene Lehren, die die Gelehrten der zweiten, neukantianischen Welle des Positivismus, die dem Naturalismus Verpflichteten sowie die zum Mystizismus neigenden Denker verkündeten. Sie versuchten eine solche Ausdrucksmöglichkeit zu finden, in der sie ihre kritischen Einwände ebenso mitteilen konnten wie ihre internsten Sorgen, ihre Enttäuschung, ihre Zweifel und seelischen Probleme. Das literarisch-künstlerische Leben im modernen Sinne wurde ebenfalls in den drei bis vier Jahrzehnten um bzw. nach dem Ausgleich geschaffen. Von dieser Zeit an kann gesagt werden, dass Literatur und Kunst nicht mehr nur eine Angelegenheit einiger Auserwählter sind. In dieser Periode entwickelte sich das Institutionssystem der ungarischen Literatur und Kunst bzw. es begann neu zu funktionieren. Es war ebenfalls die Zeit, in der das damit verbundene Geschäftsnetz entstand; es wurden literarisch-künstlerische Gesellschaften und Preise etabliert, Künstlergesellschaften in Kaffeehäusern organisiert, Redaktionen und Zeitungen für Kunst und Literatur ins Leben gerufen. Der Institutionalisierungsprozess und die Herausbildung der Marktproduktion erzwangen also gleicherweise, die für Literatur und Künste erforderlichen Geldquellen zu finden und sie anzuzapfen. Das Kultusministerium hatte in den ersten Jahrzehnten des Dualismus bereits ein Konzept für die Bildungspolitik, aber noch kein gründlich ausgearbeitetes, umfassendes Konzept für die Kulturpolitik. Während des Wirkens der ersten Minister für Religion und Unterrichtswesen im Dualismus, József Eötvös (1867-1871), Tivadar Pauler (18711872) sowie Ágoston Trefort (1872-1888), umfasste der Tätigkeitsbereich des Kultusministeriums - begründeterweise - vor allem den Volksunterricht und die Volkserziehung und so blieb es auch noch lange Zeit. Mehr als zwei Drittel des Budgets des Ministeriums wurden streng für Aufgaben des Volksunterrichtes verwendet. Ausgereifte Entwürfe für das Kultusbudget - welche von einer konzeptionellen kulturpolitischen Mentalität im heutigen Sinn